Die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten lösen nach Beobachtung der Caritas-Sozialberatungsstellen in Niedersachsen bei vielen Menschen Existenzängste aus. «Viele Klienten haben Angst vor dem, was kommt», sagte der Sprecher des Caritas-Verbandes für Oldenburg, Dietmar Kattinger, der Deutschen Presse-Agentur.
Inzwischen melden sich auch verstärkt Rentnerinnen und Renter bei den Sozialberatungsstellen. Die Nachfragen kämen aus allen sozialen Schichten, sagte Kattinger. Die Zahl der Anfragen wegen der hohen Lebenshaltungskosten sei generell gestiegen, sagte Roland Knillmann vom Diözesan-Caritasverband Osnabrück: «Die Menschen kommen zunehmend in Probleme.»
Die Menschen, die in die Beratungsstellen kommen, hätten oft Angst davor, es finanziell nicht über den Winter zu schaffen, sagte die Sprecherin des Caritas-Verbandes im katholischen Bistum Hildesheim, Svenja Koch. «Es ist eine Gemengelage aus erhöhten Lebenshaltungskosten, der Energiekrise und der sich weiterhin verschärfenden Wohnungssituation, auch aufgrund des Krieges in der Ukraine», erklärte sie: «Viele stellen fest, dass das Geld nur noch bis zum 20. des Monats reicht und nicht mehr bis zum 30.»
Inzwischen sei es auch schon vorgekommen, dass bei den Essensausgaben für Obdachlose auch Rentnerinnen und Rentner angestanden hätten. Bei den Suppenausgaben habe es auch schon Handgreiflichkeiten gegeben. Auch Kattinger berichtete, dass inzwischen Rentnerinnen und Rentner in die Beratungsstellen gekommen seien, die noch nie zuvor Hilfen in Anspruch genommen hätten.
Es seien nicht so sehr die Menschen in der Grundsicherung, die es nun besonders schwer hätten, sondern eher Menschen, die mit ihren Einkommen knapp über der Grenze liegen, sagten Kattinger und Koch: Alleinerziehende, Verkäuferinnen oder Menschen mit kleinen, schlecht bezahlten Jobs. Diese kämen mit den erhöhten Abschlagszahlungen oft nicht zurecht.
Dabei würden 40 Prozent der Menschen, die eigentlich eine Berechtigung für Hilfen wie zum Beispiel Kinderzuschlag hätten, keine Anträge stellen, sagte Koch. «Wir bitten daher Menschen, die in finanziellen Schwierigkeiten sind, sich auf jeden Fall bei den Beratungsstellen zu melden.» Es sei besser, einmal eine Beratung zu viel in Anspruch zu nehmen, als auf eine Hilfe von 500 Euro zu verzichten.
Zum Teil hätten auch schon einige Kommunen Härtefallfonds eingerichtet, falls Familien nicht mehr mit den hohen Energiekosten klar kommen. Die Unterstützung bei hohen Lebensmittelpreisen und Energiekosten müsse unbedingt gerecht erfolgen, sonst drohten Verteilungskämpfe, die den Zusammenhalt in der Gesellschaft gefährdeten, sagte Koch. «Ich sehe da einen sozialen Sprengstoff, wenn sich da eine Mischung aus Angst, Unzufriedenheit oder dem Gefühl der Ungerechtigkeit breit macht», sagte Kattinger.
In Niedersachsen ist der Anteil armer Menschen an der Bevölkerung seit 2005 gestiegen: Sie lag im Jahr 2005 bei 15,5 Prozent, im Jahr 2020 bei 17,6 Prozent und im Jahr 2021 bei 17,9 Prozent. Das geht aus einer Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes im Auftrag der Linksfraktion im Bundestag hervor. Im Land Bremen nahm der Anteil von 22,3 Prozent im Jahr 2005 auf 28,4 im Jahr 2020 zu und ging im Jahr 2021 auf 28,0 Prozent zurück. Im Bundesdurchschnitt lag der Anteil bei 14,7 Prozent im Jahr 2005 und 16,6 Prozent im vergangenen Jahr.
Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zum Leben hat, gilt nach einer Definition der EU als arm. «Wir brauchen für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen ein Inflationsgeld als Ausgleich, eine armutsfeste Kindergrundsicherung, die Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent und eine solidarische Mindestrente von 1200 Euro ähnlich wie in den Niederlanden«, sagte der Co-Vorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Dietmar Bartsch.