GEW: Schulpolitik ist 20 Jahre auf Abgrund zugerast

An vielen Schulen in Niedersachsen fehlen Lehrerinnen und Lehrer, die Unterrichtsversorgung ist so niedrig wie lange nicht. Die Gewerkschaft GEW macht Vorschläge zum Gegensteuern - und attestiert der neuen Kultusministerin in einer Hinsicht schon einen Fortschritt.
Lehrermangel
Eine Lehrerin schreibt mit Kreide an die Tafel. © picture alliance / Sebastian Kahnert/dpa

Die Bildungsgewerkschaft GEW sieht im Lehrkräftemangel an Niedersachsens Schulen das Ergebnis jahrelanger Versäumnisse in der Schulpolitik. «Die Landespolitik ist 20 Jahre lang sehenden Auges auf den Abgrund zugerast», sagte GEW-Landeschef Stefan Störmer der Deutschen Presse-Agentur. Landesweit gebe es rund 10 000 Schulbeschäftigte zu wenig. Davon seien etwa 7500 Lehrkräfte, die vor allem an den Grund-, Haupt- und Realschulen fehlten. Zuletzt arbeiteten an den allgemeinbildenden Schulen rund 70.000 Lehrkräfte.

Vor diesem Hintergrund sei es hilfreich, dass die neue Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) sich gleich zu Beginn ihrer Amtszeit vor gut einem halben Jahr ehrlich gemacht habe mit der Aussage, dass der Personalmangel noch mindestens zehn Jahre andauern werde. «Diese Ehrlichkeit brauchen wir. Der Fachkräftemangel ist nur langfristig zu beheben. Selbst wenn die Abiturienten jetzt in Scharen anfangen, Lehramt zu studieren, wirkt das erst in sieben Jahren», sagte Störmer. Einige Entlastungsvorschläge der GEW im Überblick:

Mehr Geld für viele Lehrkräfte

Die Anhebung der Gehälter für Grund-, Haupt- und Realschullehrer auf das Niveau ihrer Kollegen an den Gymnasien war ein Wahlversprechen von SPD und Grünen. Wann und wie es umgesetzt wird, ist aber noch offen. «Wir halten es für notwendig, diesen Schritt ab 2024 in einem Rutsch für alle umzusetzen. Wir brauchen das dringend, um die Grund-, Haupt- und Realschulen für die Lehrkräfte attraktiver zu machen und auch im Wettbewerb zu den Nachbarländern zu bestehen», sagte Störmer. Zuletzt sei ein Viertel der Referendarinnen und Referendare im Land nicht in den Schuldienst in Niedersachsen gegangen - das sei «ein echtes Alarmzeichen».

Zusammenlegung von Schulfächern

Einige Fächer könnten von den Schulen zusammengelegt werden, wenn sie für die Einzelfächer nicht genügend Lehrkräfte haben, schlägt die GEW vor. Die Schulen könnten ihr Personal dadurch flexibler einsetzen als bisher. «Aus der Not heraus haben viele Schulen heute einen Gemischtwarenladen, was den Fächerkanon der Lehrkräfte angeht - weil sie in den vergangenen Jahren lieber eine Lehrkraft mit irgendeinem Fach eingestellt haben als gar keine. Jetzt müssen wir die Schulen in die Lage versetzen, die Stundentafel mit diesem Personal zu füllen», sagte Störmer. «Eine Überlegung wäre, dass sie manche Fächer zusammenfassen könnten, zum Beispiel die Naturwissenschaften oder die Gesellschaftswissenschaften.» Das sei auch pädagogisch sinnvoll.

Schnellere Anerkennung ausländischer Abschlüsse

Ausländische Lehrkräfte sollen nach Vorstellung der GEW schneller in den Schuldienst integriert werden. «Es ist doch unbegreiflich, warum eine Lehrkraft, die zum Beispiel in England ausgebildet wurde, hier ein langes Verfahren durchlaufen muss», sagte Störmer. «Wir könnten uns eine schnelle Anerkennung mit raschem Einsatz in der Praxis vorstellen. Dann sind die Lehrkräfte schon mal an den Schulen, und wir müssen hoffen, dass es bald nach der Einarbeitung spürbare Entlastungen bringt.» Das gelte auch für Lehrkräfte aus der Ukraine, von denen bisher nur sehr wenige eingestellt worden seien.

Einstellung von Lehrkräften mit nur einem Fach

Bisher müssen Lehrerinnen und Lehrer zwingend mehr als ein Fach studiert haben. «Ich glaube, das können wir uns in dieser Situation so nicht leisten. Wenn ein Fach ausreicht, könnten die Schulen mehr Quereinsteiger und ausländische Lehrkräfte einstellen», so Störmer.

Pläne des Kultusministeriums

Das niedersächsische Kultusministerium will es laut eigener Aussage in Zukunft Haupt-, Real- sowie Oberschulen ermöglichen, manche Fächer zusammenzufassen. Eine entsprechende Änderung ist bis zum 1. August 2025 geplant. «Das Kultusministerium würde aber Vorgriffsregelungen gestatten», teilte eine Sprecherin mit. An Gesamtschulen und teilweise auch an kooperativen Gesamtschulen sei es zudem bereits «gelebte Praxis», dass die Fächer Chemie, Biologie und Physik oder Geschichte, Politik und Erdkunde gemeinsam unterrichtet würden. Das erleichtere den Unterrichtseinsatz und verbessere die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern, da sie mehr Stunden gemeinsam hätten. Nichtsdestotrotz müsse immer sichergestellt sein, dass alle vorgeschriebene Lerninhalte vermittelt würden.

© dpa
Das könnte Dich auch interessieren
Empfehlungen der Redaktion
TV-Schauspieler David McCallum gestorben
People news
«Navy CIS»-Schauspieler David McCallum tot
Loriot
Kultur
Loriot-Ausstellung «Ach was» präsentiert unbekannte Werke
Charly Hübner
Tv & kino
Impro-Komödie mit Charly Hübner - ein Dorf kämpft um Wasser
Google
Internet news & surftipps
Brüssel: Plattformen müssen vor Wahlen Fake News bekämpfen
Wiko Y82 im Test: Günstig-Smartphone für 99 Euro
Handy ratgeber & tests
Wiko Y82 im Test: Günstig-Smartphone für 99 Euro
ChatGPT
Internet news & surftipps
Studie: KI könnte deutscher Wirtschaft Milliarden einbringen
FC Bayern München
Fußball news
Tuchel lässt Rotation offen - Sané erfreut Hoeneß' Herz
Arbeitsplatz im Homeoffice
Job & geld
Lernen im Homeoffice: Das gilt bei der dualen Ausbildung