Politisch motivierte Straftaten im Zuge von Protestaktionen fallen immer häufiger nicht mehr in die bislang von der Polizei genutzten Raster. Wie aus den Antworten der Landesregierung auf zwei Kleine Anfrage der Linksfraktion im Landtag hervorgeht, konnten die Beamten knapp die Hälfte der im ersten Halbjahr registrierten rund 1000 Delikte keiner politischen Richtung zuordnen. «Eine unklare statistische Lage verschleiert nicht nur tatsächliche Problemlagen, sondern verhindert im Zweifel auch die richtigen Rückschlüsse, die vonseiten der Politik zu ziehen sind», monierte der Linken-Abgeordnete Michael Noetzel am Dienstag in Schwerin. Er forderte das zuständige Innenministerium auf, die bislang angewendeten Kategorien zu überprüfen und gegebenenfalls zu ergänzen.
Nach Einschätzung Noetzels steht der Großteil der Straftaten ohne Zuordnung im Zusammenhang mit dem Protestgeschehen gegen die Corona-Maßnahmen. «Es ist kein Geheimnis, dass diese Demonstrationen, insbesondere dann, wenn sie einen gewalttätigen Verlauf nahmen, von Rechten und teilweise landesweit bekannten Neonazis angeführt wurden», erklärte der Parlamentarier. Auf die dabei gezeigten antisemitischen Plakate, laut gerufenen antidemokratischen Parolen und Einschüchterungsversuche habe der Landtag mit einem Beschluss reagiert, der das Demonstrationsrecht würdige, zugleich aber eine deutliche Abgrenzung nach rechts einfordere.
Ende Juli hatte das Innenministerium vorläufige Daten zur Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität im ersten Halbjahr 2022 vorgelegt. Demnach hat sich die Zahl dieser Straftaten gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres im Nordosten verdoppelt. Statt zuvor 549 wurden nun 1113 derartige Delikte aktenkundig. Verstöße gegen das Versammlungsgesetz haben sich mit 332 registrierten Fällen fast versechsfacht. Stark zugenommen hatten zudem Beleidigungen und Sachbeschädigungen mit je 45 Fällen. Wegen des oft unklaren politischen Hintergrunds der Beteiligten sei eine eindeutige Klassifizierung nach rechten, linken oder religiösen Gruppierungen meist nicht möglich, hieß es.
Doch auch die Straftaten mit rechtem und linkem Hintergrund nahmen laut Statistik zu, wobei politisch motivierte Kriminalität aus dem «Phänomenbereich rechts» erneut deutlich überwog. Deren Zahl stieg gegenüber dem ersten Halbjahr 2021 um 126 auf 495, wobei es sich bei mehr als zwei Dritteln der Fälle um Propagandadelikte handelte. Die Zahl rechter Gewalttaten verdoppelte sich von 16 auf 32. Dem linken Täterspektrum wurden 90 der von Januar bis Juni gemeldeten Fälle zugeordnet, 40 mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Den Schwerpunkt bildeten mit 44 Fällen Sachbeschädigungen.