Die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann hat eine konsequente Auseinandersetzung mit dem sexuellen Missbrauch im DDR-Leistungssport gefordert. Die SPD-Politikerin ist Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. «Es ist schwierig und es tut auch richtig weh. Aber es muss sein. Wir brauchen Erkenntnisse über missbrauchbegünstigende Strukturen, über Fehlverhalten und Lücken im Schutzsystem», sagte Bergmann am Mittwoch auf einer Fachtagung in Schwerin. Zwar sei die DDR längst Geschichte, doch litten bis heute viele ehemalige Sportler unter dem erfahrenen Unrecht und Schmerz.
Die Debatte um sexuellen Missbrauch im Sport wurde neu entfacht, nachdem der frühere Weltklasse-Wasserspringer Jan Hempel (51) sein Martyrium öffentlich gemacht hatte. In einer Dokumentation der ARD hatte Hempel im Vorjahr erstmals die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen seinen 2001 gestorbenen langjährigen Trainer Werner Langer öffentlich gemacht. Demnach hatte Langer sich von 1982 bis 1996 an dem Olympia-Zweiten von Atlanta 1996 vergangen.
Hempel, der als Gast an der Tagung teilnahm, machte die strengen Hierarchien im DDR-Leistungssport mitverantwortlich für die folgenschweren Übergriffe. Mitsprache habe es für Athleten nicht gegeben und auch keine Anlaufstellen, um sich dort Hilfe zu holen. «Für den Erfolg haben wir alles hinnehmen müssen», sagte Hempel.
Auf eine Entschuldigung für das erlittene Leid warte er bis heute. «Es gab eher strafende Worte und Vorwürfe, wie ich damit jetzt noch an die Öffentlichkeit gehen konnte», berichtete Hempel. Er sprach sich dafür aus, die Verjährungsfristen für Missbrauch zu verlängern, da Opfer oft erst mit großem zeitlichen Abstand die Kraft aufbrächten, sich zu offenbaren. Die Vereinigung Athleten Deutschland hat eine eine unabhängige Anlaufstelle für Spitzensportler geschaffen.
Ebenso wie Hempel denkt auch Anne Drescher, Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur und Mitveranstalterin der Tagung, dass das System des DDR-Leistungssports sexuellen Missbrauch begünstigte. Schon Kinder und Jugendliche seien auf Höchstleistung getrimmt worden. Dabei sei es nicht nur um Doping gegangen, sondern auch um Abhängigkeiten, Druck und Gewalt.
«Unsere Gesellschaft sollte erkennen, wie vergiftet die sportlichen Erfolge der DDR waren. Sie sollte dafür sorgen, dass betroffene ehemalige Sportlerinnen und Sportler gehört werden, die notwendige Hilfe erhalten und dass Athleten heute besser geschützt werden», mahnte Drescher.
Die Kölner Sportwissenschaftlerin Bettina Rulofs verwies vor den etwa 70 Teilnehmern auf eine Studie aus dem Jahr 2019, die Mechanismen des DDR-Sportsystems offengelegt habe. «Kinder im DDR-Leistungssport waren einem System ausgesetzt, das sie ausgebeutet hat», sagte Rulofs. Permanenter Druck und die Macht der Trainer hätten Gewalt und Missbrauch ermöglicht. Bis heute seien viele Frage zu diesem Thema aber noch offen. So sei weiterhin unklar, wie viele Menschen im Rahmen des Sports missbraucht worden seien.
Betroffene berichteten in der Diskussion über erlittene Qualen, beklagten zugleich aber mangelnde Bereitschaft von heute führenden Sportfunktionären im DOSB, sich dem Thema zu stellen. Eine Entschuldigung sei vielfach unterblieben. Zudem kritisierten sie eine überbordende Bürokratie bei Anträgen auf Entschädigungsleistungen.
Der Rostocker Medizinprofessor Carsten Spitzer beklagte ein unzureichendes Angebot an psychologischer Betreuung und mangelnde Bereitschaft der Krankenkassen, langfristige Therapien zu ermöglichen. «Das geht nicht unter Zeitdruck und lässt sich nicht mit einer Handy-App lösen», betonte Spitzer.