Die Stadt Grimmen hat als erste Stadt im Land gegen eine weitere Aufnahme Geflüchteter gestimmt. Am Donnerstagabend hätten von 18 anwesenden Stadtvertretern 11 für den entsprechenden Antrag der Stadtverwaltung gestimmt, sagte Stadtsprecher Thorsten Erdmann der Deutschen Presse-Agentur. «Es ist ein Hilferuf, den die Stadt Grimmen im Prinzip in Richtung Adresse der Landesregierung loslässt.» Erdmann betonte, man wolle helfen, könne es aber nicht mehr.
Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) reagierte ablehnend. Der Beschluss sei rechtlich unverbindlich, sagte Pegel im NDR Nordmagazin. Er betonte zugleich, wenn Grimmen tatsächlich einen großen Anteil der ukrainischen Flüchtlinge in Vorpommern-Rügen aufgenommen habe, sei es sinnvoll, innerhalb des Landkreises zu schauen, ob andere Städte «stärker in die Bütt gehen», als sie es bisher tun.
Politiker von Linke und Grünen sowie der Flüchtlingsrat nahmen den Beschluss zum Anlass, von Bund und Land mehr Unterstützung für die Kommunen zu fordern. «Es rächt sich jetzt aber auch, dass Einrichtungen wie die Flüchtlingsunterkunft in Basepohl im September 2016 wieder geschlossen wurden, statt diese im Standby-Modus zu behalten», hieß es in einer Mitteilung der Linken-Landesspitze. Ziel der nun regierenden rot-roten Koalition sei, dass Flüchtlinge mit guten Bleibeperspektiven möglichst schnell dezentral untergebracht würden. Daher sei nötig, umgehend eine Bestandsaufnahme des noch zur Verfügung stehenden Wohnraums in Städten und Gemeinden zu machen.
Die Vorsitzende des Landesflüchtlingsrates, Ulrike Seemann-Katz, nannte den Beschluss der Grimmener Stadtvertreter nachvollziehbar, warnte aber zugleich: «Es könnte als Signal verstanden werden, wir wollen nicht noch mehr Menschen aufnehmen, und jene Kräfte stärken, die mit allen Mitteln versuchen, Schutzsuchende fern zu halten», sagte sie mit Verweis auf den Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Bautzen vor einer Woche.
Auch beim Brand einer Unterkunft für Ukraine-Flüchtlinge in Groß Strömkendorf bei Wismar Mitte Oktober schließen die Ermittler einen politischen Hintergrund nicht aus. Das Brandgutachten steht noch aus, die Suche nach den Brandstiftern läuft.
Die Stadt Grimmen habe im Februar 333 ukrainische Geflüchtete aufgenommen. «Damit haben wir als Stadt Grimmen über zehn Prozent der knapp 3200 Ukrainer, die im Landkreis Vorpommern-Rügen erfasst sind», sagte Stadtsprecher Erdmann. Man habe knapp 10 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Nach aktuellem Schlüssel müsste Grimmen daher eigentlich nur maximal 133 Geflüchtete aufnehmen.
Hauptproblem sei die Aufnahme der Kinder und Jugendlichen in Schulen und Kitas. «Und da sind wir bei uns an einer Kapazitätsgrenze angelangt.» Es gebe 41 Kinder, die in die Kita müssen und 105 schulpflichtige Mädchen und Jungen. «Unsere Schulen platzen aus allen Nähten und die Kitas ebenso.»
Die Verteilung von Geflüchteten auf die Kommunen liegt in der Zuständigkeit der Kreise. Darauf hatte auch das Innenministerium im Zusammenhang mit Grimmen hingewiesen und Gespräche mit dem Landrat von Vorpommern-Rügen angekündigt.
Die momentane Situation überfordert laut Erdmann auch den Haushalt. Für Integration benötige man die entsprechende Infrastruktur und Finanzen. «Beides ist jetzt bei uns in Grimmen nicht mehr gegeben.» Wenn es keine Betreuung der Kinder und Jugendlichen gebe, leide auch die Integration ihrer Eltern. «Deshalb weisen wir das strikt zurück, dass wir hier als unsozial oder anderen Kommunen gegenüber unsolidarisch auftreten.»
Der Beschluss komme auch mit Blick auf die zu erwartenden weiteren Geflüchteten, die im Winter aus der Ukraine kommen könnten. Damit könnten auch für Grimmen weitere Aufnahmen anstehen. Anderen Kommunen gehe es ähnlich. «Bloß Grimmen hat jetzt mal den Mut gehabt, das zu sagen.»
Sieben Vertreter von Linke und SPD stimmten laut Erdmann dafür, weitere Mittel beim Land zu fordern, um einen Aufnahmestopp zu vermeiden. Die CDU stimmte geschlossen für den Antrag.
CDU-Landes- und -Fraktionschef Franz-Robert Liskow hatte angesichts wachsender Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen mehr Unterstützung für die Kommunen im Land und eine striktere Migrationspolitik des Bundes gefordert. Nach seinen Angaben liegen auch aus anderen Kreisen Informationen vor, dass die Unterbringungsmöglichkeit für Flüchtlinge so gut wie erschöpft ist.
Auch Anne Shepley, stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Landtag, ermahnte die Landesregierung, die Klagen der Kommunen nicht zu ignorieren. «Die zunehmenden Überlastungsanzeigen aus den Kreisen und kreisfreien Städten sind ein Alarmsignal, das von der Landesregierung ernst genommen werden muss», betonte sie.