Alt-Bundespräsident Joachim Gauck hat in Fünfeichen bei Neubrandenburg an den grausamen Umgang der Wehrmacht mit Gefangenen der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg und die willkürliche Inhaftierung Deutscher nach 1945 erinnert. Das Schicksal beider Gruppen habe lange «im Erinnerungsschatten» in beiden Teilen Deutschlands gelegen, sagte Gauck am Samstag vor rund 400 Gästen an der Mahn- und Gedenkstätte Fünfeichen.
Dort waren von 1939 bis 1945 rund 120.000 Kriegsgefangene der Wehrmacht aus elf Ländern eingesperrt und mussten Zwangsarbeit leisten. Von 1945 bis 1948 waren dort rund 15.000 Deutsche vom Sowjetgeheimdienst NKWD inhaftiert. Erst 1948 - vor 75 Jahren - wurden die Lager endgültig geschlossen und gerieten in Vergessenheit.
Im Osten Deutschlands habe in der DDR-Zeit der amtlich verordnete Heldenmythos der Sowjetunion keinen Raum für Empathie mit den Tausenden getöteten Rotarmisten gelassen, erläuterte Gauck. Von etwa 6000 Toten im Wehrmachts-Gefangenenlager waren 90 Prozent Rotarmisten.
Das zeige, dass die Wehrmacht gefangene Soldaten und Offiziere der West-Alliierten weitestgehend entsprechend der Genfer Konventionen zum Umgang mit Kriegsgefangenen behandelt habe. Die Gefangenen der Sowjetarmee dagegen seien, wie in NS-Propaganda gefordert, als «Untermenschen» behandelt und in den Tod getrieben worden.
Im Westen Deutschlands hätten die Verbrechen des NS-Regimes an den Juden bei der Aufarbeitung der NS-Geschichte in dieser Hinsicht vieles überlagert. Gauck lobte deshalb die Bemühungen der Opferorganisation Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen und der Stadt Neubrandenburg, die zusammen mit Historikern und Schulen die Ereignisse dieser Zeit seit Längerem aufarbeiten. Zum Gedenken am Samstag trugen Schüler Berichte ehemaliger Gefangener in Fünfeichen vor. Danach wurden Kränze niedergelegt.
Die AG Fünfeichen wurde nach 1990 gegründet, da deutsche Häftlinge in der DDR-Zeit über ihre Haft nicht reden durften. Neben Ex-Mitgliedern von NS-Organisationen aus MV waren in Fünfeichen nach 1945 auch viele Jugendliche ohne Gerichtsverfahren eingesperrt. Ein Drittel dieser Gefangenen überlebte die Zeit in Fünfeichen oder ihre Deportation nach Sibirien nicht. Viele dieser Häftlinge sind laut AG Fünfeichen inzwischen rehabilitiert worden. Im Osten Deutschlands gab es zehn solcher NKWD-«Speziallager».