«Mit der Abschaffung des Hungers beginnt ein würdevolles Leben», sagt Marlehn Thieme, seit vier Jahren ehrenamtliche Präsidentin der Welthungerhilfe. Die Organisation, deren Ziel genau dies ist, wird in der kommenden Woche 60 Jahre alt. Rund Mehr als 3000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in 36 Ländern aktiv, um Armut zu bekämpfen, Ernährungssicherheit zu stärken und mit Wissenstransfer Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Darüber hinaus leistet sie humanitäre Hilfe, etwa nach Naturkatastrophen.
«Umwelt, Klimawandel, wirtschaftliche Entwicklung - das sind Themen, die mir wichtig sind», beschreibt Thieme, worauf es ihr ankommt - nicht erst seit Übernahme des Amtes bei der Welthungerhilfe. Die Juristin, die in Bad Soden (Taunus) und Berlin lebt, hat unter anderem den Rat für Nachhaltigkeit der Bundesregierung geleitet und ist für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) aktiv. «Man muss auch die wichtigen Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung berücksichtigen», sagt sie über die Projektarbeit der Helfer, «da die konkreten Maßnahmen immer wieder überprüft und an die neuen Lebensbedingungen angepasst werden müssen». Dafür sorgen schon der Klimawandel und seine Folgen.
Jährlich veröffentlicht die Welthungerhilfe den sogenannten Welthunger-Index - Daten (WHI), die zeigen, wie es um Unterernährung, Kindersterblichkeit, Auszehrung und Wachstumsverzögerung bei Kindern
auf der Welt bestellt ist. Mit einem Wert von 18,2 liegt der Index des Jahres 2022 in der Kategorie mäßig und ist im Vergleich zum Wert von 2014 (19,1) kaum gesunken. Bei der Vorstellung des diesjährigen Index warnten Vertreter der Welthungerhilfe vor einer weltweit dramatischen Hungersituation. «Die Welt steht vor einem schweren Rückschlag bei den Bemühungen, den Hunger zu beenden», hieß es damals. Wesentliche Hungertreiber seien Konflikte, die Klimakrise und die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie.
Der Klimawandel habe für die Ernährungssituation von Millionen Menschen «enorme Folgen», so die Welthungerhilfe-Präsidentin. Ob die schwere Dürre am Horn von Afrika oder Überschwemmungen in Pakistan: «Wir sehen, dass die Welt vor gewaltigen Herausforderungen steht.» Mehr noch: Immer öfter gehe es angesichts akuter Hungerkrisen darum, das Überleben der Menschen zu sichern.
Hinzu kämen regionale Konflikte, bei denen aber auch schwindender Zugang zu Ressourcen wie Wasser oder Weideland eine Rolle spielen könne. Sie brächten nicht nur Tod und Gewalt, Vertreibungen und Flüchtlingsbewegungen mit sich, sondern auch neue Ernährungskrisen. Denn Bauern, die vor einem Konflikt fliehen müssen, können weder Felder bestellen noch ernten.
«Das macht auch vieles zunichte, was sich in den Ländern bereits entwickelt hat», sagt Thieme mit Blick auf Länder wie Mali oder Äthiopien mit der Konfliktregion Tigray. Dabei könne man gerade in den Projektgebieten in Afrika sehen, «wie wichtig Frieden für Entwicklung ist». Auch Konflikte um Rohstoffe, wie etwa in der Demokratischen Republik Kongo drohten die betroffenen Länder in ihrer Entwicklung zurückzuwerfen.
Lange hat sich die Arbeit der Welthungerhilfe, ob mit humanitärer Nothilfe oder langfristiger Entwicklungszusammenarbeit, auf die Länder des globalen Südens konzentriert. Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine ist die Organisation nun erstmals seit vielen Jahren wieder in Europa aktiv, etwa für Binnenflüchtlinge in der Ukraine oder mit Akuthilfe für Kriegsflüchtlinge in Moldawien.
Hoffnung mache, dass trotz Inflation und steigender Energiepreise bisher keine Rückgänge bei den Spenden für die Arbeit der Organisation festgestellt wurden. «Die Welthungerhilfe hat langjährige Spender und Unterstützer, die in der Corona-Krise sogar deutlich mehr gespendet haben und das auch jetzt tun, wo es vielen Menschen in unserem Land schlecht geht», unterstreicht Thieme.