Staatsanwalt gesteht und erzählt vor Gericht Persönliches

Eine traumatische Kindheit, gescheiterte Beziehungen, übertriebener Ehrgeiz - die Aussage des wegen Korruption angeklagten Korruptionsermittlers geht tief. Den Kollegen, die gegen ihn ermittelten, ist er nach eigenen Worten «fast dankbar».
Der angeklagte ehemalige Frankfurter Oberstaatsanwalt (M) steht im Gerichtssaal des Landgerichts. © Arne Dedert/dpa/POOL/dpa/Archivbild

Mit einem weitreichenden Schuldeingeständnis und persönlichsten Schilderungen hat der in Frankfurt wegen Korruption angeklagte ehemalige Oberstaatsanwalt die ihm zur Last gelegten Taten eingeräumt. Am zweiten Prozesstag verlas der 55-Jährige mit stockender Stimme eine 19 Seiten lange Erklärung voller Reue. Er übernehme «trotz überaus düsterer Aussichten» für sein weiteres Leben «strafrechtlich und persönlich die Verantwortung».

Er habe vielen Unbeteiligten großen Schaden zugefügt, das Vertrauen von Vorgesetzten und Kollegen massiv missbraucht und dem Ansehen der hessischen Justiz schweren Schaden zugefügt. Er habe es nicht vermocht, das System der Schmiergeldzahlungen zu stoppen, sagte Alexander B. «Insofern kann ich der Staatsanwaltschaft fast dankbar sein, dass sie mich da rausgezogen hat.»

Der ehemalige Leiter einer Ermittlungsstelle gegen Korruption im Gesundheitswesen muss sich seit vergangener Woche selbst wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht verantworten. Der 55-Jährige soll sich laut Staatsanwaltschaft bei der Vergabe von Gutachten bereichert und Schmiergelder kassiert haben. Mit ihm auf der Anklagebank sitzt ein Unternehmer, dem gewerbsmäßige Bestechung und Subventionsbetrug vorgeworfen wird.

Alexander B. schilderte seine traumatische Kindheit in prekären Verhältnissen: Der Vater habe ihn sexuell missbraucht. Die Mutter habe ihn direkt nach der Geburt in ein Kinderheim gegeben und mit zwei Jahren zurückgeholt. Seine Kindheit sei geprägt gewesen von Geldsorgen, der Überforderung seiner Mutter und der Alkoholsucht seines Vaters.

Bis zu seiner Festnahmen 2020 habe er mit niemandem darüber gesprochen, «weil ich mich geschämt habe». Durch die «traumatischen Erlebnisse» habe er «einen starken Lebenswillen entwickelt», sagte der Angeklagte. Er habe geglaubt, es sei «eine Frage der Disziplin, den Dämonen keine Macht zu geben».

Mit Fleiß und Disziplin habe er das Jurastudium abgeschlossen. Eine Beziehung sei an dem unerfüllten Kinderwunsch seiner Partnerin gescheitert. Mit Arbeit habe er sich von seinen persönlichen Problemen ablenken wollen, sei «völlig ausgebrannt» gewesen. «Mein beruflicher Erfolg war mein einziger Lebensinhalt.»

Von 2002 an war der Angeklagte mit Ermittlungen zu Abrechnungsbetrug bei Ärzten betraut. Für die komplizierte Materie brauchte man Sachkundige, die zunächst einzeln und selbstständig arbeiteten. In der Hochphase seien bis zu 2000 Verfahren anhängig gewesen. Zusammen mit seinem Schulfreund - der nun mit ihm auf der Anklagebank sitzt - gründete der Angeklagte eine Firma, bei der die Sachverständigen angestellt waren.

Der Angeklagte gab zu, zuerst zu einem Drittel und später zu 60 Prozent am Gewinn dieses Unternehmens beteiligt gewesen zu sein, dabei habe er gewusst, «dass dieses Verhalten unzulässig ist». Hintergrund dieser «Unrechtsvereinbarung» sei seine neue Beziehung zu einer dieser Sachverständigen gewesen. Sie habe nicht mit Geld umgehen können und er sei nicht in der Lage gewesen, dem Einhalt zu gebieten.

Als ihre beiden Kinder aus erster Ehe bei dem Paar einzogen - die Tochter adoptierte der Angeklagte später - seien die Kosten gestiegen. Zu diesem Zeitpunkt haben er beschlossen, «sich eine zusätzliche Einnahmequelle zu verschaffen». Der Mitangeklagte Unternehmer habe ein Konto eingerichtet und ihm die Bankkarte dazu gegeben. Laut Anklage hob er davon jahrelang monatlich rund 3000 Euro ab.

Eine weitere Einnahmequelle erschloss sich der Angeklagte nach eigenem Bekunden bei einer Firma, die EDV-Gutachten erstellte. Mit dem Inhaber dieser Firma habe er sich über die ähnlich gelagerten persönlichen Probleme ausgetauscht. Bei einem Spaziergang habe man vereinbart, dass der Unternehmer für jedes von B. in Auftrag gegebene Gutachten diesem einen Euro zahle.

Seine Partnerin sei dann psychisch krank geworden, er habe sich 2019 von ihr getrennt, die Kosten seien aber weitergelaufen. Diese Frau war es denn auch, die den damaligen Oberstaatsanwalt 2019 anzeigte. Das Gericht verlas eine Selbstanzeige und eine Anzeige der Frau, die mittlerweile gestorben ist.

Darin bezichtigt sie ihren Ex-Partner der Korruption und Steuerhinterziehung und sich selbst der Mitwisserschaft. Sie schilderte in einem handschriftlichen Brief an das Amtsgericht, wie das «System» funktionierte, bis hin zur PIN des geheimen Kontos und behauptete, B. habe versucht, sie in der gemeinsamen Wohnung zu ermorden.

Nach seiner Verhaftung 2020 habe er begonnen aufzuarbeiten, «weshalb ich derart gescheitert bin». Er wisse, dass seine Ausführungen als Ausflüchte gesehen werden können «und dass die juristische und die persönliche Aufarbeitung nur eine geringe Schnittmenge haben».

Auch den - neben gewerbsmäßiger Bestechlichkeit - zweiten Tatvorwurf der Steuerhinterziehung räumte er ein. Zum dritten Tatvorwurf, der erst später hinzugenommen wurde - schwere Untreue - will er sich später äußern. Am kommenden Mittwoch will auch der zweite Angeklagte aussagen, der mitangeklagte Unternehmer. Ihn nahm B. in seiner Aussage explizit in Schutz. Dieser habe ihm mehrfach angeboten, das Korruptionssystem zu beenden, er habe das aber stets abgelehnt.

Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Diana Reichmann, sagte, die Aussage habe im Wesentlichen derjenigen aus dem Ermittlungsverfahren entsprochen. Insofern sei sie für die Staatsanwaltschaft keine großen Überraschungen dabei gewesen. Eine geständige Einlassung habe sicherlich die Folge, dass es zu einer strafmildernden Wirkung komme. Die Bewertung sei Sache des Gerichts.

© dpa ⁄ Sandra Trauner und Isabell Scheuplein, dpa
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