Die Amtsgerichte an den Standorten größerer Flughäfen werden nach Angaben des Deutschen Richterbunds wieder mit massenhaften Klagen gegen Airlines beschäftigt. Nach einer zwischenzeitlichen Flaute im Zuge der Corona-Pandemie seien die Zahlen im vergangenen Jahr wieder um rund 40 Prozent auf mehr als 70.000 Fälle gestiegen, bei weiter steigender Tendenz. Die Kunden verlangen meist Entschädigungen für ausgefallene oder verspätete Flüge. Nach einer am Sonntag vorgelegten Auswertung war Frankfurt im vergangenen Jahr bundesweit nach Köln das Gericht mit dem zweithöchsten Aufkommen solcher Klagen.
Der Geschäftsführer des Richterbunds, Sven Rebehn, verlangte Abhilfe von der Politik. Viele Zivilgerichte würden durch Massenverfahren auch zum Dieselskandal oder durch eine Flut gleichförmiger Verbraucherklagen teilweise blockiert. Die Regierung solle das Zivilprozessrecht durch flexiblere Vorschriften an die neue Realität dieser Fließbandklagen anpassen. Vorschläge der Richterschaft für sinnvolle Rechtsänderungen lägen seit mehr als einem Jahr vor.
Das Amtsgericht Frankfurt bestätigte die Größenordnung und berichtete für das vergangene Jahr von 11 161 neuen Flug- und Reiseklagen, was 44 Prozent sämtlicher neuer Zivilsachen ausmache. Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrage 5,9 Monate, sagte ein Justizsprecher.
Seit 2021 läuft am Frankfurter Amtsgericht auch ein Software-Pilotprojekt, das die Richter bei gleichgelagerten Fällen mit Textbausteinen und Vorschlägen unterstützen soll. Nach der erfolgreichen Entwicklung des Prototyps «Frauke» läuft derzeit die Beschaffung einer entsprechenden KI-Anwendung, berichtet das hessische Justizministerium auf Anfrage. Es sei aber noch nicht klar, wann das System, das die letzte Entscheidung beim Richter belasse, für den Praxiseinsatz bereitsteht.
Nach dem Corona-Jahr 2021 hat der Flugverkehr in Deutschland im vergangenen Jahr wieder deutlich angezogen. Der Flughafenverband ADV hat 2022 mit 165 Millionen Passagieren gut 110 Prozent mehr gezählt als im Jahr zuvor. Zum Vorkrisenniveau des Jahres 2019 fehlten noch 34,1 Prozent der Gäste. Trotz des geringen Volumens kam es im Sommer zu einer Vielzahl von Flugausfällen und Verspätungen, weil Flughäfen, Airlines und andere Dienstleister für den Wiederanlauf zu wenig qualifiziertes Personal eingestellt hatten.
Auch die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP), an die sich Kunden ohne Anwalt wenden können, spürte den holprigen Neustart des Luftverkehrs. 2022 gingen mit 25.660 Schlichtungsanträgen zum Luftverkehr mehr als doppelt so viele ein wie ein Jahr zuvor mit 12 175 Fällen, berichtet die SÖP in ihrem Jahresbericht. Der Anteil der Flugfälle am gesamten Antragsvolumen betrug 85 Prozent. Abgeschlossen wurden im vergangenen Jahr 15.466 Flugfälle. Knapp die Hälfte (43 Prozent) drehte sich um Annullierungen, 23 Prozent um Verspätungen und 9 Prozent um Probleme mit dem Gepäck.