In der Debatte über den AfD-Höhenflug hat CDU-Bundeschef Friedrich Merz die Grünen als politischen Hauptgegner bezeichnet - in Hessen regieren diese aber mit der CDU zusammen. Das macht es drei Monate vor der hessischen Landtagswahl nicht einfacher für die Landesgrünen. Bei ihrem Parteitag am Samstag in einem sieben Stockwerke hohen «Casino» des Frankfurter Gebäudes Mainarkaden findet ihr Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir lobende und kritische Worte für die Union. Vor der Wahl will er auch das grüne Profil schärfen.
Danach verabschieden rund 450 Grüne nach einer mehrstündigen und harmonischen Debatte ihr «Regierungsprogramm 2024 bis 2029» - einstimmig. Änderungen am Entwurf hat es beim Parteitag wenig gegeben. Zu ihnen gehört auf Antrag der Grünen Jugend, dass die Partei nun schon bis 2035 statt 2045 erreichen will, dass Hessen klimaneutral wird. Mit ihrem neuen Wahlprogramm zieht die Partei unter dem Motto «Hessen lieben. Zukunft leben» in den Wahlkampf.
Wirtschaftsminister Al-Wazir, der Hessens erster grüner Ministerpräsident werden will, sagt: «CDU und Grüne sind sehr unterschiedliche Parteien.» Aber ihre vor fast zehn Jahren gestartete Koalition in Wiesbaden regiere trotz manchmal auch heftiger Debatten «immer miteinander und nicht gegeneinander». Genau das unterscheide Schwarz-Grün in Hessen von der Ampel in Berlin.
Angela Dorn, ebenfalls Grünen-Spitzenkandidatin, sagt, die «Merz-CDU» falle in altes Lagerdenken zurück. Mit «Feindgesängen» könne man sich in der eigenen Höhle stark fühlen, aber draußen bleibe verbrannte Erde zurück. «Noch schlimmer, auf der Glut können andere Feuer entzünden. Die politischen Gegner sind doch nicht die demokratischen Mitbewerber, sondern die Demokratieverächter von rechts», betont die hessische Wissenschaftsministerin. Und fragt, wo die hessische CDU stehe: «Sie ist hier auffallend still.»
Bei Außentemperaturen von mehr als 30 Grad kritisiert Al-Wazir, die CDU tue beim Klimawandel so, «als ob sich eigentlich gar nichts ändern muss». Auch in Hessen träume die CDU weiter von Verbesserungen des Verbrennungsmotors: «Die Zukunft gewinnen wir damit sicher nicht.» Die SPD wiederum fordere zwar Veränderungen, vermittele aber fälschlich den Eindruck, «davon wird niemand etwas merken».
Was sind die neuen grünen Wahlkampfschlager? Für Mädchen und Jungen in weiterführenden Schulen sollen Tabletcomputer bereitgestellt werden. Laut Partei zunächst kostenlos für bedürftige Schüler und längerfristig womöglich auch verbilligt für andere Schüler.
Al-Wazir kündigt bei einem Wahlerfolg zudem Hessens historisch größte Aufforstung mit 30 Millionen neu gepflanzten Bäumen bis 2030 an. Nach den drei Dürrejahren müsse der geschädigte Wald längerfristig wieder klimastabil werden.
Mieten sollen laut dem grünen Spitzenkandidaten bezahlbar werden. «Wir wollen 60.000 neue Wohnungen im Ballungsraum.» Bei 10 000 davon, sogenannten Hessen-Wohnungen, sollen günstige Mieten garantiert werden - mit einer Sozialbindung für sogar 50 Jahre.
Überdies soll es laut Al-Wazir mit einem neuen «Hessenpass Kultur» landesweit «einen vergünstigten Eintritt zu Kultur-, Port- und Freizeitmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger mit kleinem Einkommen geben».
Zudem wollen Hessens Grüne mit dem Vorschlag für einen sechs Milliarden Euro schweren Klima- und Transformationsfonds sowie der Forderung nach 20.000 neuen Kita-Plätzen in den Wahlkampf ziehen. Außerdem wollen sie in jedem Landkreis regionale ärztliche Versorgungszentren einrichten und erreichen, dass in jedem Dorf mindestens einmal pro Stunde ein Bus oder die Bahn hält.
Bei der hessischen Landtagswahl 2018 hatten es sechs Fraktionen ins Parlament geschafft: die CDU mit 27,0 Prozent sowie Grüne und SPD beide mit 19,8 Prozent - mit einem kleinen Vorsprung der Grünen. Die AfD bekam damals 13,1, die FDP 7,5 und die Linke 6,3 Prozent.
Bei einer Befragung des Instituts Insa im Auftrag der «Bild» in der ersten Juni-Hälfte 2023 erreichten die Grünen 18 Prozent - hinter der CDU mit 29 und der SPD mit 22 Prozent. Dabei spiegeln Wahlumfragen grundsätzlich nur das Meinungsbild zum Zeitpunkt der Befragung wider und sind keine Prognosen auf den Wahlausgang.