Wolfspopulation steigt: Weidetierhalter wollen Obergrenze

In Hessen werden immer mehr Wölfe sesshaft. Das facht die Debatte um das Wildtier an. Während Landwirte und Schafshalter eine Obergrenze fordern, plädieren Naturschützer für besseren Herdenschutz.
Zwei Wolfswelpen stehen auf einem Feld. © Torsten Beuster/-/dpa/Symbolbild

Die Zahl der Wölfe in Hessen wächst stetig. «Dadurch, dass ein Großteil der Gebiete im Norden und Osten Deutschlands schon durch Wolfsterritorien besetzt sind, orientieren sich die abwandernden Jungwölfe zunehmend in Richtung der Bundesländer, wie zum Beispiel Hessen, in denen noch freie Lebensräume zur Verfügung stehen», erklärt Annika Ploenes vom Wolfszentrum des Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) in Wiesbaden auf dpa-Anfrage.

Im vergangenen Jahr wurden demnach 20 sesshafte Tiere genetisch nachgewiesen. Das heißt, es wurden Rückstände von ihnen wie beispielsweise Speichelspuren an gerissenen Tieren gefunden. 2021 waren es 13 Tiere, 2020 und 2019 jeweils acht. Noch im Jahr 2018 registrierte das HLNUG keinen einzigen Wolfsnachweis in ganz Hessen.

Im Beobachtungszeitraum von Mai 2021 bis April 2022 gab es im Land laut Ploenes vier Wolfsterritorien: ein Rudel in Rüdesheim, eine Einzelwölfin im Stölzinger Gebirge sowie jeweils ein Paar in Ludwigsau und Wildflecken länderübergreifend zu Bayern. Ein Wolf gilt dann offiziell als territorial, wenn er in einem bestimmten Gebiet mindestens zweimal im Abstand von sechs Monaten genetisch erfasst wird. «Mit durchziehenden Wölfen ist in ganz Hessen jederzeit zu rechnen», so Ploenes.

Im laufenden Monitoringjahr von Mai 2022 bis April 2023 sei in den Wolfsgebieten Rüdesheim, Wildflecken und im Bereich des Stölzinger Gebirges Nachwuchs nachgewiesen worden. «Das Paar in Ludwigsau sowie die einzelne Wölfin im Stölzinger Gebirge konnten im laufenden Beobachtungszeitraum bisher noch nicht genetisch bestätigt werden.» Ein Territorium erlischt, wenn die Tiere in einem Monitoringjahr nicht mehr nachgewiesen werden können. «Seit November 2022 ist darüber hinaus ein einzelner Wolf im Hochtaunus- und Wetteraukreis sesshaft», erläutert Ploenes. Kürzlich sei außerdem ein neues Territorium rund um Waldkappel im Werra-Meißner-Kreis mit einem Rudel nachgewiesen worden.

20 Nutztiere wurden 2022 laut HLNUG hessenweit von Wölfen getötet. In diesem Jahr rissen sie nachweislich bislang sieben Schafe. Die hessischen Weidetierhalter sorgen sich wegen der Ausbreitung der Raubtiere. «Um unsere Weidetiere vor Wolfsangriffen zu schützen, muss der Wolf deutliche Grenzen aufgezeigt bekommen, damit er lernt, sich von den Weiden fernzuhalten», fordert der Vizepräsident des Hessische Bauernverbands (HBV), Volker Lein. Präventive Schutzmaßnahmen reichten oft nicht aus. Der Verband will die Festlegung einer Obergrenze für den Wolfsbestand.

Ein wolfssicherer Zaun sei für viele Wölfe kein Hindernis mehr, erläutert Lein. Wölfe seien hochintelligente Jäger, die schnell lernten, sich ihrer Freiheiten gnadenlos zu bedienen. Anders als von Naturschutzverbänden behauptet, gäbe es keine natürliche Scheu des Wolfes. «Ohne eine aktive Erziehung des Wolfes wird es bald keine Weidetierhaltung in Hessen mehr geben», sagt Lein.

Der HBV fordert eine bessere und transparente Aufklärung von Wolfs-Verdachtsfällen. «Wie die Gutachten der Risse derzeit erstellt werden, ist absolut unzufriedenstellend. Zudem gibt es immer noch zu wenig Rissgutachter in den Landkreisen», erklärt Lein. Dadurch würden Risse oft viel zu spät begutachtet, um überhaupt noch die DNA eines Wolfes sichern zu können. Die tatsächliche Wolfspopulation müsse nachvollziehbar und realistisch erfasst werden. «Es kann nicht so weitergehen, dass der Schutz des Wolfes über den Schutz unserer Weidetiere gestellt wird.»

Der Landesjagdverband Hessen plädiert dafür, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen und den Bestand aktiv zu managen. Jäger seien für eine Entnahme des Wolfes prädestiniert, erklärt Pressesprecher Markus Stifter. Sie seien flächendeckend vertreten, hätten die nötigen Ortskenntnisse sowie die entsprechende Ausbildung und Ausrüstung.

«Dass die Rückkehr des Wolfs bei einigen Menschen Ablehnung hervorruft, ist uns bewusst», sagt der Naturschutzreferent des hessischen Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND Hessen), Thomas Norgall. Ziel müsse die gute Koexistenz von Mensch und Wolf sein. «Ängste vor Angriffen bei Waldspaziergängen sind unbegründet», sagt Norgall. In der Fachwelt bestehe Einigkeit, dass vom Wolf keine Gefahr für den Mensch ausgeht.

Für Weidetierhalter seien Nutztierverluste eine hohe emotionale und bei der Schaf- und Ziegenhaltung oft eine große wirtschaftliche Belastung. «Der BUND fordert daher eine stärkere finanzielle Unterstützung der Schaf- und Ziegenhaltung und die komplette Übernahme der Herdenschutzkosten durch die öffentliche Hand.»

Die Lösung des Konflikts liege im Herdenschutz. «Wer seine Tiere konsequent durch Herdenschutzmaßnahmen schützt, beugt Übergriffen von Wölfen vor und - noch wichtiger - verhindert, dass Wölfe Weidetiere als leichte Beute kennenlernen.» Die oft geforderte Jagd auf den Wolf werde die Konflikte hingegen verschlimmern. «Die meisten Wölfe reißen nämlich keine Nutztiere, verjagen aber als streng territoriale Art jeden anderen Wolf aus ihrem Revier. Sesshafte Wölfe, die keine Weidetiere angreifen, sind also effektiver Herdenschutz.»

Werde hingegen eine Bestandsobergrenze für Wölfe festgesetzt und könnten dann pauschal alle Wölfe bis zu dieser Grenze geschossen werden, dann würden regelmäßig auch solche Wölfe erlegt werden, die gar keine Nutztiere reißen. «Werden sie geschossen, können hingegen Wölfe einwandern, die Weidetiere angreifen. Das kann niemand wollen.»

© dpa
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