In Schleswig-Holstein sind im vergangenen Jahr wieder deutlich mehr Menschen bei Verkehrsunfällen gestorben. 2022 gab es 102 Verkehrstote, «weil sie selbst oder andere Unfallverursacher zu schnell unterwegs, unaufmerksam, abgelenkt oder berauscht waren», sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) am Montag bei der Vorstellung des Verkehrssicherheitsberichts 2022. «Das ist besonders tragisch, weil hinter jedem Getöteten Familien, Angehörige, Freundinnen und Freunde stehen, die mit diesem Schicksalsschlag umgehen müssen.» 2021 war während der Corona-Pandemie mit 77 Verkehrstoten im nördlichsten Bundesland ein Tiefstand erreicht worden. Im Vor-Corona-Jahr 2019 hatte es 100 Verkehrstote in Schleswig-Holstein gegeben, 2018 waren es 122.
Auch die Zahl der polizeilich registrierten Verkehrsunfälle insgesamt stieg 2022 um 1,1 Prozent auf 82.884. Dabei wurden 14.569 Personen verletzt (plus 5,8 Prozent). Die Polizei sieht die wieder gestiegene Mobilität der Menschen im Laufe des Jahres 2022 als einen Grund für die Entwicklung der Zahlen.
Hauptunfallursachen seien Verstöße beim Abbiegen und bei der Vorfahrt, zu hohe Geschwindigkeiten sowie nicht eingehaltene Abstände. Sütterlin-Waack rief zu gegenseitiger Rücksichtnahme auf: «Gerade in Zeiten, in denen wir immer mobiler werden und mit immer vielfältigeren Verkehrsmitteln unterwegs sind, ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Auto oder aber auch mit dem E-Roller oder dem Pedelec, sollten wir alle ein Stück weit mehr aufeinander achten und aufpassen.»
Die Entwicklung der Unfallzahlen bei Kindern nannte die Ministerin alarmierend. Zwar lag die Zahl im vergangenen Jahr noch unter der von 2019, stieg im Vergleich zu 2021 aber um 18,5 Prozent auf 1231. Bei schwer verletzten Kindern gab es eine Steigerung um 4,3 Prozent auf 108. Zwei Kinder starben im Straßenverkehr, eins mit dem Fahrrad und eins zu Fuß.
Eine besonders starke Zunahme der verunglückten Kinder um 45,2 Prozent gab es in der Alterskategorie der Sechs- bis unter Zehnjährigen. «Wir müssen unsere Kinder für den Straßenverkehr fit machen. Üben Sie mit Ihren Kindern den Schulweg. Gehen Sie die Strecke ab oder fahren Sie die Strecke mit dem Fahrrad und weisen Sie Ihre Kinder auf die gefährlichen Stellen hin», sagte Sütterlin-Waack.
Negativ entwickelten sich die Zahlen auch bei E-Rollern. Seitdem Anfang 2020 E-Roller in die Statistik aufgenommen wurden, haben sich die Unfallzahlen fast verfünffacht. 2020 wurden 92 Unfälle gezählt, 2022 waren es 442 Verkehrsunfälle.
Nach Überzeugung des stellvertretenden Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Andreas Kropius, darf die Verkehrssicherheitsarbeit als Kernaufgabe der Landespolizei nicht vernachlässigt werden. «Dazu benötigen wir mindestens 50 zusätzliche Polizistinnen und Polizisten.»
Die Grünen-Landtagsabgeordnete Nelly Waldeck forderte, statt des Wunsches der Auto- und Lastwagenfahrer nach schneller Fahrt die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer stärker gesetzlich in den Vordergrund zu stellen. «Wir brauchen mehr Spielräume für Geschwindigkeitsbegrenzungen wie Tempo-30-Zonen.» An Kreuzungen müsse die Sicherheit von Fußgängern und Fahrradfahrern Priorität vor schnellem Abbiegen haben.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Niclas Dürbrook nannte es erschreckend, dass die Zahl der Verkehrstoten nach der Corona-Pandemie wieder deutlich angestiegen ist. «Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass Tag für Tag Menschen im Straßenverkehr schwer verletzt oder sogar getötet werden.» Viele Kommunen wünschten sich niedrigere Hürden für Geschwindigkeitsbegrenzungen. Bei Tempo 30 halbiere sich der Anhalteweg im Vergleich zu Tempo 50. Das seien entscheidende Meter.