Wegen drastischer Einbrüche bei den Steuereinnahmen zieht die schwarz-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein die Reißleine. Das Kabinett verständigte sich am Dienstag nach der Mai-Steuerschätzung auf eine vorläufige Haushaltssperre. Mit diesem Vorschlag sei sie im Schulterschluss mit Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) in die Sitzung gegangen, sagte Finanzministerin Monika Heinold (Grüne). Bei einem 16-Milliarden-Euro-Etat seien von der Sperre rund 900 Millionen betroffen. Die Zahlen hätten alle überzeugt, dass Handlungsbedarf bestehe.
Mit der Haushaltssperre dürfen im Grundsatz keine Ausgaben geleistet oder Verpflichtungen eingegangen werden, für die keine gesetzliche oder vertragliche Bindung besteht. Grundsätzlich ausgenommen sind Personalausgaben und Investitionen, also zum Beispiel Bauprojekte.
Von der Haushaltssperre betroffen sind unter anderem freiwillige Zuwendungen und Zuschüsse an Institutionen, Verbände und Vereine. Gleiches gilt für Neuanmietungen, die Beauftragung von Gutachtern oder Sachverständigen sowie die Beschaffung von Bürobedarf.
Heinold zufolge sinkt die Einnahmeerwartung für 2023 bis 2027 um insgesamt 2,8 Milliarden Euro gegenüber der Oktober-Steuerschätzung. «Das ist eine Menge Geld schon mit Wirkung in diesem Jahr», sagte sie.
Für 2024 besteht nach derzeitigem Stand eine Lücke von 450 Millionen Euro. Danach steige der Handlungsbedarf noch relevant weiter, sagte Heinold. Im laufenden Jahr flossen in den ersten vier Monaten von den insgesamt prognostizierten Steuereinnahmen weniger als 28 Prozent; sonst sind es laut Heinold über 30 Prozent.
Die erste Haushaltssperre seit 2009 gilt seit Dienstag - wie lange, ist offen. In den nächsten Wochen werde die Regierung zügig darüber beraten, wie die Einnahmelücken geschlossen werden, sagte Heinold. Die Herausforderungen seien so groß wie noch nie in ihrer Amtszeit. Heinold ist seit 2012 Finanzministerin. Am Zeitplan hält sie fest: Das Kabinett soll den Etatentwurf 2024 im September beschließen.
«In diesem Jahr fehlen uns fast 400 Millionen Euro und im kommenden Jahr über 600 Millionen Euro im Vergleich zur letzten Steuerschätzung», erläuterte Heinold. «Das ist ein hoher Preis für die großen Steuerentlastungspakete des Bundes und wird sich natürlich auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Landes auswirken.» Hinzu kämen inflationsbedingte Kostensteigerungen, Tariferhöhungen und steigende Zinsen.
Eine Wiederbesetzungssperre für frei werdende Stellen gebe es derzeit nicht, sagte Heinold. Das Land brauche Fachkräfte. Es sei auch richtig gewesen, in den letzten Jahren neue Stellen zu schaffen, zum Beispiel für Polizei, Justiz und Lehrkräfte.
Hauptursache für den Rückgang der Einnahmen sind Heinold zufolge die beschlossenen Steuerentlastungen der Bundesregierung. Zudem würden geringere Einnahmen aus der Grunderwerb- und aus der Erbschaftsteuer erwartet. Bei der Grunderwerbsteuer seien es in diesem Jahr voraussichtlich statt 846 Millionen nur 639 Millionen Euro.
«Wir haben eine sehr unruhige Zeit», sagte Heinold. «Die Steuereinnahmen schwanken hin und her.» Auch für die Kommunen sinkt zur Oktober-Schätzung die Einnahmeerwartung, für 2023 um rund 2 Millionen Euro, für 2024 um 125 Millionen.
«Innerhalb von fünf Monaten verkündet die Finanzministerin erst einen unerwarteten Haushaltsüberschuss von einer Milliarde und heute eine Haushaltssperre», konstatierte SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller. «Die bekannten Fakten rechtfertigen diesen drastischen Schritt nicht.» Durch den Zeitpunkt zwei Tage nach der Kommunalwahl müssten sich die Wähler getäuscht fühlen. Die SPD forderte eine Sondersitzung des Finanzausschusses und einen Bericht der Ministerin in der nächsten Landtagstagung.
Der politische Spielraum werde enger, sagte der CDU-Finanzpolitiker Ole Plambeck. «Das Einhalten der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse und die notwendigen Investitionen in Zukunftsfähigkeit unseres Landes stehen für uns außer Frage.» Daher müsse das Land bereits in diesem Jahr den Gürtel enger schnallen.
Es werde für Heinold sehr schwer, geräuschlos die Wünsche von CDU und Grünen zusammenzubringen, meinte die FDP-Finanzpolitikerin Annabell Krämer. Die Regierung müsse endlich langfristige Prioritäten festlegen. Sie dürfe keinesfalls von der zeit- und wirkungsgleichen Umsetzung der Tarifabschlüsse abrücken, betonte SSW-Fraktionschef Lars Harms. «Das wäre wirklich niemandem zu vermitteln, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst nun die Versäumnisse aus guten Haushaltsjahren ausbaden müssen.»
Der Paritätische Wohlfahrtsverband erklärte zur Haushaltssperre, die freiwilligen Leistungen für Institutionen, Verbände und Vereine dürften nicht wegfallen. «Der soziale Frieden in der Gesellschaft darf in diesen anhaltenden Krisenjahren nicht weiter gefährdet werden», sagte Landesvorstand Michael Saitner. «Soziale Organisationen müssen weiterhin in der Lage bleiben, ihre Dienste aufrechtzuerhalten, zumal sie keinerlei Rücklagen bilden dürfen.»