Nach zahlreichen Angriffen auf Polizei- und Feuerwehr-Einsatzkräfte in der Silvesternacht erwägt die Hamburger Innenbehörde eine Ausweitung des Böllerverbots zum kommenden Jahreswechsel. Es werde eine detaillierte Lageauswertung geben, um zu klären, ob es an bestimmten Orten eine erhöhte Gefährdung durch Feuerwerkskörper gegeben habe, kündigte die Innenbehörde am Montag an. Dies könne dazu führen, dass eine Ausweitung des Feuerwerksverbots auf weitere Bereiche der Stadt rechtlich geprüft werde, sagte Behördensprecher Daniel Schaefer. Rund um die Binnenalster und auf dem Rathausmarkt war das Abbrennen von Pyrotechnik bereits verboten.
In der Silvesternacht waren mehrere Beamte und Streifenwagen mit Pyrotechnik und Flaschen beworfen worden, unter anderem in den Stadtteilen Harburg und Hausbruch sowie an der Reeperbahn, an den Landungsbrücken und in der Schanzenstraße. Eine Gesamtzahl der Verletzten konnte die Polizei nicht nennen. Auf St. Pauli bekam ein 51-jähriger Beamter aus einer Gruppe heraus einen Schlag auf den Kopf und wurde mit einer Platzwunde ins Krankenhaus gebracht. Der Beamte sei an einem Einsatz auf dem Dach des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie beteiligt gewesen, hieß es. Eine Gruppe von etwa 15 Personen habe sich dort aufgehalten.
Auch Feuerwehrleute und Retter wurden angegriffen. Im Stadtteil Schnelsen erlitt ein Feuerwehrmann Verbrennungen, als er und mehrere Kollegen mit Böllern beschossen wurden. Im Stadtteil Niendorf attackierte ein Mann einen Notarzt und einen Sanitäter.
In Hausbruch wollte die Freiwillige Feuerwehr einen brennenden Müllcontainer löschen. Eine etwa 50-köpfige Gruppe habe das Löschfahrzeug mit Böllern beworfen und mit Raketen beschossen. Die Feuerwehrleute hätten sich zurückgezogen. Erst eine geschlossene Einheit der Polizei habe die Lage beruhigen können, sagte Polizeisprecherin Sandra Levgrün.
In dem Bereich wurden auch drei Linienbusse des HVV attackiert. Die teils mit Fahrgästen besetzten Busse seien aus einer Gruppe von bis zu 20 Personen heraus mit Pyrotechnik beschossen und beworfen worden, teilte die Polizei mit. Zudem seien die Fahrer mit Laserpointern geblendet und vorgehaltenen Schreckschusswaffen zum Halten gezwungen worden. An den Fahrzeugen gingen laut Polizei Fensterscheiben zu Bruch, ein Busfahrer musste wegen Augenschmerzen ins Krankenhaus gebracht werden. Die Fahrgäste seien unverletzt geblieben.
«Erschreckend in unserer Silvester-Neujahrs-Bilanz ist die Art und Weise, wie Einsatzkräfte des Rettungsdienstes, der Berufsfeuerwehr und der Freiwilligen Feuerwehren während der Silvesternacht mit Feuerwerkskörpern aggressiv angegangen, regelrecht beschossen wurden», hatte ein Feuerwehrsprecher an Neujahr erklärt.
Polizeisprecherin Levgrün sagte, Beamte seien vermehrt mit Feuerwerk beworfen worden. Jeder einzelne Fall sei dramatisch. Aber: «Wir bleiben bei der Einschätzung, dass es im Vergleich zu den Vorjahren - auch vor Corona - ruhiger war.» Die Zahl der Einsätze gab die Polizei mit ungefähr 1200 an. Zum Jahreswechsel 2021/22 waren es 1025 gewesen, an Silvester 2020/2021 gut 1300 und das Jahr davor 1353. In den Corona-Jahren mussten die Beamten allerdings auch auf Abstands-, Alkohol- und andere Verbote achten.
Von der Innenbehörde hieß es: «Wir nehmen die Vorkommnisse und insbesondere die Angriffe auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht sehr ernst.» Innensenator Andy Grote (SPD) wünschte den im Einsatz verletzten Kolleginnen und Kollegen eine schnelle und vollständige Genesung.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sprach von einer vergleichsweise ruhigen Nacht in Hamburg. Es habe «keine Berliner Verhältnisse» gegeben. Unter Anspielung auf die im Frühjahr häufigen Krawalle im Schanzenviertel sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Lars Osburg: «Silvester entwickelt sich immer mehr zu einem 1. Mai.» Es gehe immer um die gleiche Klientel: «Jung, männlich, von einem Migrationshintergrund geprägt.» Eine Ausweitung des Böllerverbots hält Osburg für nicht machbar. Die Kräfte der Polizei reichten nicht, um eine derartige Anordnung durchzusetzen.
«Jedes Jahr sind es die üblichen Krawallmacher, die Einsatzkräfte beschießen und mit Gegenständen bewerfen, nämlich diejenigen, die uns sonst auch angehen», erklärte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Thomas Jungfer. Auch er hält eine Ausweitung des Böllerverbots für nicht sinnvoll, weil die Polizei es kontrollieren müsste. Zugleich forderte Jungfer harte Strafen: «Jeder Angriff mit Böllern oder Raketen auf Einsatzkräfte muss als versuchtes Tötungsdelikt bewertet werden und mit aller Härte des Gesetzes bestraft werden.»
Der Chef der AfD-Bürgerschaftsfraktion, Dirk Nockemann, erklärte: «Es ist eben keine Partyszene, die über die Stränge schlägt, sondern im Regelfall ist hier eine überwiegend migrantisch geprägte Szene am Werk, die unseren Staat und unsere Gesellschaft ablehnt.» Dagegen helfe nur die volle Härte und Konsequenz des Rechtsstaates.
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) forderte eine bundesweite Debatte über Konsequenzen nach den Angriffen auf Polizei und Feuerwehr in der Silvesternacht. Sie wies darauf hin, dass Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) im Januar den Vorsitz der Innenministerkonferenz übernehme und schon zugesagt habe, das Thema dort anzusprechen.