Hamburger Gegenwind für Lindners Steuerentlastungspläne

Noch mehr Steuereinnahmen als gedacht. Auf den ersten Blick scheint Hamburg im Geld zu schwimmen. Doch Obacht, mahnt Finanzsenator Dressel. Die meisten Mehreinnahmen würden an anderer Stelle wieder verloren gehen. «Kein Verteilungsspielraum» lautet das Fazit.
Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) nimmt an einer Pressekonferenz teil. © Jonas Walzberg/dpa/Archivbild

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bekommt für seine Pläne zum Ausgleich der hohen Inflation bei der Einkommensteuer Gegenwind aus Hamburg. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) wirft Lindner vor, Spitzenverdiener über Gebühr zu begünstigen. Die Hansestadt sei bereit dazu, dass das Existenzminimum, der steuerliche Grundfreibetrag als «Gebot der Gerechtigkeit» angepasst werde, «also all die Anpassungen sozusagen am unteren Ende der steuerlichen Kette», sagte Dressel am Dienstag. Dass Leute, die in einer «Einkommensetage» mit ihm selbst oder auch mit Finanzminister Lindner seien, einen vollen Inflationsausgleich bekämen, das sei weder geboten noch bezahlbar, fügte der Senator hinzu.

Dressel kündigte für die Finanzministerkonferenz an diesem Donnerstag eine Debatte zu dem Thema an. Hamburg plädiere dafür, zu sagen, die Steuerentlastung für Spitzenverdiener «wird jetzt auch strittig gestellt, von uns und ganz sicher auch von anderen Ländern», sagte er. Es müsse eine Verständigung geben, «in welchem Umfang wir am oberen Rand der Einkommenstabelle tatsächlich den Inflationsausgleich vollständig gewähren.»

Lindner wirbt dafür, dass der bereits im Bundestag beratene Entwurf des Inflationsausgleichsgesetzes an aktuelle Inflationsprognosen angepasst wird. Demnach soll der Spitzensteuersatz von 42 Prozent, der aktuell ab einem zu versteuernden Einkommen von 58 597 Euro greift, im kommenden Jahr erst ab 62 827 Euro fällig wird. 2024 würde dieser Eckwert auf 66 779 Euro steigen. Die Grenze für den noch höheren Reichensteuersatz von 45 Prozent will die Bundesregierung bewusst nicht antasten, weil sie in dieser Einkommensklasse keine zusätzliche Entlastung für nötig hält. «Es muss sich an dieser Stelle etwas bewegen, da kann Herr Lindner nicht von ausgehen, dass das mal eben so noch mitgemacht wird mit einem kleinen Zusatz zu diesem Gesetzesvorhaben», sagte der Hamburger Finanzsenator.

Hintergrund der Kritik Dressels sind die jüngsten Steuerschätzungen der Finanzbehörde der Hansestadt, die auf den ersten Blick noch einmal besser ausfallen als bei der vorigen Schätzung im Mai. Demnach sollen im laufenden Jahr 576 Millionen Euro mehr Steuern eingenommen werden als vor sechs Monaten erwartet. Im kommenden Jahr wird mit Mehreinnahmen von 448 Millionen Euro gerechnet, bis 2026 insgesamt summieren sich die Mehreinnahmen auf knapp 3,1 Milliarden Euro.

Allerdings wird der Fiskus der Hansestadt im selben Zeitraum durch die Auswirkungen vor allem des Inflationsausgleichsgesetzes um knapp 1,4 Milliarden Euro belastet. Jüngste Anpassungen von Lindner bringen Dressel zufolge noch einmal Belastungen von rund 0,7 Milliarden Euro bis 2026. Damit blieben von den Steuermehreinnahmen lediglich knapp 1 Milliarde Euro übrig, von denen lediglich ein Drittel auf die Jahre 2023 bis 2026 entfällt.

«Jetzt könnte man erstmal denken, boah, das sind ja hier große Zahlen und wir schwimmen in Steuermehreinnahmen, das glaube ich, wäre jetzt die falsche Reaktion», sagte Dressel zu den Zahlen. Es bestehe «in Wahrheit in dieser Krise» keinerlei Verteilungsspielraum. Es müsse klar sein, dass für zusätzliche große Mehrausgabenpakete, die nichts mit Krisenbewältigung zu tun hätten, jetzt keine Zeit sei.

Kritik an Dressels Kurs kam von der FDP. «Der Finanzsenator liegt falsch», sagte die Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein. «Steuergerechtigkeit muss für alle Einkommensgruppen gelten.» Der Senat stehe in der Pflicht, Inflationsprofite «an die Bürger zurückzugeben - durch Unterstützung statt Blockade einer Steuerreform, die die kalte Progression mindert».

Der haushaltspolitische Sprecher der CDU-Fraktion in der Bürgerschaft, Thilo Kleibauer, forderte, steuerliche Entlastungen müssten «jetzt auch» bei den Bürgern ankommen. «Hier darf der Hamburger Senat nicht von der Landesebene aus Maßnahmen zur Abmilderung der kalten Progression unterlaufen.»

Der finanzpolitische Sprecher der Linken-Fraktion, David Stoop, verlangte, mit den Steuermehreinnahmen müssten die entlastet werden, die unter der Inflation besonders zu leiden haben. «Der zentrale Inflationshilfetopf von 125 Millionen Euro wird hinten und vorne nicht ausreichen. Wir erwarten deshalb, dass der Senat nachlegt und die tatsächlich anfallenden Mehrkosten abdeckt.»

Der haushaltspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Thomas Reich, sprach indes von kräftig sprudelnden Steuereinnahmen, von denen «angesichts der teils selbstverschuldeten Dauerkrisen» kaum etwas bei den Bürgern ankommen werde. «Im Windschatten der Energiekrise wiederholt sich die hausgemachte Migrationskrise. Rot-Grün bleibt sich treu und wirft Abermillionen zum Fenster hinaus, anstatt sichtbare Einsparungen vorzunehmen.»

© dpa
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