Die großen Wohlfahrtsverbände in Bayern sind in den vergangenen Jahren stetig gewachsen - denn ihre Aufgaben nehmen zu. Auf Landesebene verzeichnet die AWO bei den hauptamtlichen Mitarbeitern seit 2007 einen Zuwachs von 12 000 auf 36 000. Bei der katholischen Caritas ist die Zahl der Arbeitnehmer in Bayern im gleichen Zeitraum von 131 000 auf 184 000 gewachsen, und bei der evangelischen Diakonie von 67 000 auf knapp 100 000. Auch bei Rotem Kreuz und Paritätischem Wohlfahrtsverband gehen die Zahlen nach oben.
Die bayerische AWO-Landeschefin Nicole Schley sagt: «Wir übernehmen immer mehr Aufgaben des Staates, die der Staat nicht leisten kann oder nicht leisten möchte.» Auch der Sozialpädagoge Klaus Schindler von der Arbeiterwohlfahrt in Rosenheim sagt: Der Bedarf an Sozialberatung nehme immer weiter zu - nicht nur etwa bei Zuwanderern, sondern auch bei anderen Bevölkerungsgruppen wie Jugendlichen, die unter sozialen und psychischen Problemen leiden würden. Auch in der Pflege steige der Bedarf. Außerdem gebe es in Kommunen oft nicht viel fachliche Kompetenz, um etwa eine Kindertagesstätte zu betreiben. Dann heiße es aus der Gemeindeverwaltung: «Wir zahlen es gern, aber wir wollen es nicht mehr selber machen.»
Egal ob Krankenhäuser, Pflegeheime, ambulante Pflegedienste oder Kitas: Die Arbeit der meisten Einrichtungen, die die Wohlfahrtsverbände betreiben, wird vollständig oder ganz überwiegend aus Steuergeldern bezahlt. Deswegen konnten die Verbände das zusätzliche Personal, das sie in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, auch stets bezahlen.
Inzwischen stoße die Entwicklung aber an Grenzen, warnt die Präsidentin der Diakonie in Bayern, Sabine Weingärtner. Vor kurzem ging sie mit einem Alarmruf an die Öffentlichkeit. Es sei vor allem in der Pflege inzwischen so schwierig, Personal zu finden, dass immer mehr Angebote eingeschränkt werden müssten. Die Situation sei «todernst».
Es gebe bei den Wohlfahrtsverbänden zwar auch viele ehrenamtliche Mitarbeiter, sagt Weingärtner. Aber die könnten die Leistungen von Festangestellten nur unterstützen, nicht ersetzen.
Außerdem berichten alle Wohlfahrtsverbände von der gleichen Herausforderung: Die Bereitschaft, sich fest an einen Verband zu binden, nimmt ab. Die Kirchen als Mutterorganisationen von Caritas und Diakonie verlieren stetig Mitglieder. Auch bei der Arbeiterwohlfahrt, die im Jahr 1919 aus der SPD heraus gegründet wurde, ist in Bayern die Zahl der Mitglieder in den vergangenen Jahren von 72 000 auf 54 000 geschrumpft.
Es gebe bei Ehrenamtlichen aber weiterhin großes Interesse, sich projektbezogen zu engagieren, sagt der AWO-Co-Landesvorsitzende Stefan Wolfshörndl. Dieses Engagement zu fördern und zu koordinieren, sei eine Zukunftsaufgabe für die Wohlfahrtsverbände: «Ansonsten wird das soziale System in unserem Land nicht mehr funktionieren.» Beispielsweise bei Freizeitprojekten für Kinder und Jugendliche, aber auch in der Armutsbekämpfung könnten Ehrenamtliche gut eingebunden werden, also etwa bei Stadtküchen, die Essen an Bedürftige verteilen.
Ein Beispiel für solche Projekte ist der «Food-Truck», den die Caritas in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofes aufgestellt hat. Marlies Brunner koordiniert als Festangestellte die Arbeit von rund 50 Ehrenamtlichen, die jeden Tag an rund 600 Menschen Essen verteilen. Ohne engagierte Bürgerinnen und Bürger und auch ohne Spenden wäre dieses Angebot unmöglich, sagt sie. Und dass solche Angebote gebraucht werden, steht für sie außer Frage: «Wenn man eine halbe Stunde ansteht, um Essen zu bekommen, hat man Hunger. Das macht man nicht zum Spaß.»