Um 23.52 Uhr endet Bayerns Atomenergieära

Die Produktion von Atomstrom in Bayern gehört der Vergangenheit an. Der Meiler Isar 2 ist Samstagnacht kurz vor Mitternacht vom Netz genommen worden. Abgeschlossen ist das Thema Kernkraft damit aber nicht.
Atomausstieg in Deutschland
Mit der Trennung der Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim und Emsland vom Stromnetz ging am Samstag die Ära der kommerziellen Stromerzeugung mit Atomkraftwerken in Deutschland zu Ende. © Lars Klemmer/dpa

Samstagnacht um 23.52 Uhr war es soweit: Das Atomkraftwerk Isar 2 in Niederbayern ging vom Netz. Als eines der drei letzten AKW in Deutschland ist es nach Angaben des Betreibers PreussenElektra planmäßig abgeschaltet worden. Am Sonntagmorgen zogen noch letzte Dampfschwaden aus dem Kühlturm in den wolkenverhangenen Himmel. Das Kraftwerk Emsland in Niedersachsen ging um 22.37 Uhr vom Netz. Auf den letzten Drücker folgte um 23.59 Uhr Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg.

Aus Sicht von Kernkraftgegnern geht der 15. April als ein guter Tag in die Geschichte ein. Den Atomausstieg feierten nach Polizeiangaben am Samstag etwa 1000 Menschen in München. Der Chef des BUND Naturschutz (BN), Richard Mergner, sprach von einem historischen Tag und einem riesigen Erfolg der Anti-Atom-Bewegung.

Dagegen finden CSU, Freie Wähler und FDP den Atomausstieg zum jetzigen Zeitpunkt - wegen des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen Krise bei der Energieversorgung - falsch. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verlangte in der «Bild am Sonntag» vom Bund eine Länderzuständigkeit für den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken und dafür wiederum eine Änderung des Atomgesetzes. Grünen-Bundestagsfraktionschefin Britta Haßelmann reagierte prompt und sprach von einem «durchsichtigen Wahlkampfmanöver».

Wehmut bei Kraftwerksmitarbeitern

Am AKW war die Stimmung am Samstag spürbar getrübt. «Heute endet nach 50 Jahren die Stromproduktion aus Kernenergie bei PreussenElektra», bilanzierte der Chef von PreussenElektra, Guido Knott. Das mache ihn auch persönlich sehr betroffen. Angesichts der Debatte um eine erneute Laufzeit-Verlängerung für die Atomkraftwerke in Deutschland signalisierte Knott Gesprächsbereitschaft. «Wenn die Politik zu uns kommt und uns fragt, ob wir einen Weiterbetrieb möglich machen können, werden wir das gerne prüfen.» Aber: «Dazu braucht es eine politische Mehrheit in Berlin. Die ist derzeit nicht gegeben.»

Rückbau, Atommüll und die Folgen

Auch wenn der Reaktor jetzt abgeschaltet ist - das Atom-Kapitel ist damit längst nicht beendet. Der Atommüll muss gelagert und die Kraftwerke müssen rückgebaut werden.

Auf letzteres konzentriert sich nun PreussenElektra. «Wir werden starten. Wenn die Genehmigung vorliegt, werden die ersten Rückbaumaßnahmen sofort beginnen», sagte Isar 2-Werksleiter Carsten Müller. Danach werde es umso schwieriger werden, einen Wiederbetrieb aufzunehmen. Der Rückbau sei bei der Aufsichtsbehörde, dem bayerischen Umweltministerium, beantragt. Mit einer Genehmigung rechnet PreussenElektra im Laufe dieses Jahres.

Der Block Isar 1 ist bereits seit 2011 abgeschaltet und befindet sich seit 2017 im Rückbau. Für die Demontage der gesamten Anlage hat der Betreiber etwa 2,2 Milliarden Euro an Kosten veranschlagt. Die rund 450 Mitarbeiter am Standort Essenbach hätten feste Arbeitsverträge bis 2029 erhalten. Danach soll die Zahl reduziert werden.

Möglichst 90 Prozent der Bauteile sollen wiederverwertet werden

Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Mit dem Rückbau der bayerischen Kernkraftwerke steht eine große Aufgabe bevor. Ziel des Rückbaus ist die grüne Wiese.» Sicherheit sei dabei oberstes Gebot, so der Minister. «Der Rückbau erfolgt unter den gleichen strengen Sicherheitsvorgaben wie der Betrieb der Anlagen. Es gibt keinen Sicherheitsrabatt.»

Nach Angaben des Umweltministeriums gilt beim Rückbau kerntechnischer Anlagen der Grundsatz «Trennung von radioaktiven und nicht radioaktiven Stoffen sowie deren gesicherte Entsorgung». Jedes Teil werde nach dem Abbau zerlegt, gereinigt und ausgemessen. «Wenn die Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung eingehalten werden und damit für Mensch und Umwelt keine relevante Strahlung mehr von den Teilen ausgeht, werden sie den bewährten Stoffkreisläufen zugeführt.» 90 Prozent der Teile könnten wiederverwendet oder -verwertet werden. «Der kleinere Rest der Abbaumassen wird als radioaktiver Abfall sicher entsorgt.»

Zwischenlager und die Endlager-Frage

In Bayern existieren für abgebrannte Brennelemente Zwischenlager an den Standorten Isar, Grafenrheinfeld und Gundremmingen. Betreiber ist der Bund, die Aufsicht liegt beim bayerischen Umweltministerium, wie der Ministeriumssprecher erläuterte.

Auf die Endlager-Frage gibt es in Deutschland noch keine Antwort. «Die Endlagerung des strahlenden Atommülls steht noch vor uns», sagte etwa Grünen-Fraktionsvorsitzender Ludwig Hartmann anlässlich des Atomausstiegs. «Strom für ein paar Jahrzehnte, tödlicher Atommüll für Jahrtausende - das ist kein Zukunftskonzept.» Umso wichtiger sei es, dass das Ende der Atomkraftnutzung nun auch die Zunahme des Atommülls begrenze. Mit dem Atomausstieg gewinne Deutschland mehr Sicherheit und Unabhängigkeit. BN-Vorsitzender Mergner sagte in München: Es blieben «strahlender Atommüll für die nächsten 40.000 Generationen und eine verschleppte Energiewende, speziell in Bayern».

Die Landtags-Grünen etwa sind wie auch Umweltschutzverbände davon überzeugt, dass der Stromverbrauch künftig aus erneuerbaren Energien gedeckt werden kann. Atomstrom werde für eine sichere Versorgung nicht benötigt, sagte Stefan Krug, Leiter von Greenpeace in Bayern.

Der Meiler Isar 2 jedenfalls lieferte laut Betreiber mit einer jährlichen Stromproduktion von etwa 12 Milliarden Kilowattstunden rund 12 Prozent des in Bayern verbrauchten Stroms. Damit seien 3,5 Millionen Haushalte «rund um die Uhr zuverlässig mit CO2-armem Strom» versorgt worden. Insgesamt wurden von Block Isar 1 und 2 demnach am Standort Essenbach in 44 Jahren rund 600 Milliarden Kilowattstunden Atomstrom in das Netz eingespeist.

© dpa ⁄ Ute Wessels, dpa
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