Gänswein tourt für Benedikt

Nach dem Tod von Papst Benedikt XVI. ist der Kampf um die Deutungshoheit über sein Schaffen im vollen Gange. Kritiker sehen in ihm einen Vertuscher von Missbrauchsfällen, dem der Ruf der Kirche über alles ging. Anhänger streiten das ab. In Altötting standen sich beide Lager nun gegenüber.
Gänswein stellt Buch vor
Ehemaliger Privatsekretär von Papst Benedikt XVI.Georg Gänswein stellt sein Buch „Nichts als die Wahrheit“ vor. © Peter Kneffel/dpa

Georg Gänswein ist in seinem Element an diesem Abend. Der langjährige Privatsekretär des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. spricht am Samstag in Altötting über sein Lieblings- und Lebensthema: seine Arbeit für Joseph Ratzinger. Er berichtet vom Leben in der «päpstlichen Familie», davon, dass er es immer noch nicht fassen kann, dass man beim ersten Auftritt von Ratzinger als Papst auf dem Petersplatz dessen schwarzen Pullover sehen konnte und dass sein Chef sich auch als Oberhaupt der katholischen Kirche nicht verändert habe. Seinen Humor habe er sich bewahrt. Und zuallererst sei er Bayer gewesen – wohl danach erst Deutscher.

Das hört man gern in dem erzkatholischen oberbayerischen Wallfahrtsort, in den Gänswein auch gereist ist, um dort am Sonntag in der Basilika den Gottesdienst zum Bruder-Konrad-Fest zu feiern. 96 Jahre alt wäre der am Silvestermorgen gestorbene deutsche Papst an diesem Sonntag geworden. Gänswein wurde an diesem Geburtstag auch noch in dessen Geburtsort Marktl am Inn erwartet - für eine Signierstunde.

Um die persönliche, privatere Seite des emeritierten Papstes und auch seines Privatsekretärs sollte es gehen am Samstagabend, wie Verleger Manuel Herder betont.

Und so machen weder er noch Gänswein zum Thema, was vor der Buchpräsentation draußen vor dem Veranstaltungssaal geschieht. Dort stehen Mitglieder der Initiative «Sauerteig» aus Garching an der Alz. Sie halten Schilder hoch und Transparente. «Ratzinger wusste Bescheid» steht auf einem.

Ein von Ratzinger schwärmender Gänswein drinnen im Warmen vor wohlwollendem Publikum, Kritiker frierend draußen in der Kälte. Kein Moment der Begegnung. Altötting wird an diesem Abend zu einem Sinnbild für den Kampf um die Deutungshoheit über das Leben und Schaffen des bayerischen Papstes. Ein Besucher nennt die Demonstration eine «Unverschämtheit» und ruft «Schämt Euch», als er den Saal betritt.

Der oberbayerische Ort Garching an der Alz, aus dem die Initiative «Sauerteig» kommt, ist in der Debatte um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche besonders in den Fokus geraten, weil das Erzbistum einen verurteilten Wiederholungstäter dorthin versetzt hatte - und der Priester dort erneut Kinder missbrauchte.

Eines seiner Opfer hat den Geistlichen, das Erzbistum München und Freising sowie die früheren Erzbischöfe Ratzinger und Kardinal Friedrich Wetter zivilrechtlich verklagt. Das Verfahren am Landgericht Traunstein wurde verschoben, weil noch nicht geklärt ist, wer nach Ratzingers Tod dessen Rechtsnachfolge antritt.

Die Initiative verteilt an diesem Abend Flugblätter, auf denen ein von Ratzinger als damaligem Chef der Glaubenskongregation unterschriebener Brief abgedruckt ist. Darin gestattet er auf Bitten des Erzbistums München und Freising, dass jener Priester H. die Heilige Messe mit Traubensaft statt mit Messwein feiern darf. Dass das Erzbistum mit dem Hinweis auf die Missbrauchstaten von Priester H. um diese Erlaubnis gebeten hatte, machte vor einigen Wochen Schlagzeilen.

Im Antwortschreiben Ratzingers, das die Initiative vor der Gänswein-Lesung verteilt, sehen seine Kritiker den unmittelbaren Beweis dafür, dass der damalige Kardinal über den Fall Bescheid wusste - und nichts dagegen unternahm, dass der Priester weiter in der Seelsorge eingesetzt wurde, wo er weiter Kinder missbrauchte.

Die Initiative fordert eine bessere Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs in der Kirche und höhere Entschädigungen für die Betroffenen: «Es ist Zeit für Entschädigungen, die dem wahren Ausmaß des Schadens gerecht werden.»

Die Sprecherin der Initiative, Rosi Mittermeier, sagt: «Dass kirchlicher Kindesmissbrauch mit Wissen und Duldung der obersten Verantwortlichen bis hin zum Altpapst Benedikt geschah, ist inzwischen unzweifelhaft belegt und erschütternder Teil der Wahrheit.»

Sie wollten betonten, «dass Joseph Ratzingers Wissen um dem Missbrauch auch zur Wahrheit gehört», sagt sie. Gänsweins Buch trägt den Titel «Nichts als die Wahrheit».

© dpa ⁄ Britta Schultejans, dpa
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