Angesichts der ungebremst hohen Flüchtlingszahlen drohen in Bayern Engpässe bei der Unterbringung und massive Schwierigkeiten bei der Integration der vielen Menschen. Die Ankerzentren im Freistaat, also die Erstaufnahmeeinrichtungen für neu ankommende Geflüchtete, sind entweder überfüllt oder nahezu komplett ausgelastet, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Und auch die bayerischen Landkreise schlagen Alarm. «Wir sind in einer Situation, wo wir eigentlich eine vernünftige Unterbringung kaum mehr gewährleisten können», sagte der Präsident des Landkreistags, Thomas Karmasin (CSU), der dpa beim Besuch mehrerer Flüchtlingsunterkünfte. Zudem drohe ein «Kipppunkt», ab dem die Menschen später schlichtweg nicht mehr integriert werden könnten, darunter auch viele Kinder.
Die Regierung der Oberpfalz meldet für das dortige Ankerzentrum aktuell eine Belegung mit rund 1900 Menschen - allerdings gibt es eigentlich nur 1450 Plätze. In Unterfranken wurden zuletzt fast 1600 Menschen untergebracht - Platz ist eigentlich nur für 1200 Menschen.
Das Ankerzentrum in Oberbayern mit Hauptsitz in Manching (Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm) und weiteren Standorten im Regierungsbezirk ist nach Angaben eines Sprechers derzeit zu 95 Prozent ausgelastet. Vor einem Jahr lag die Auslastung bei 77 Prozent, zu Jahresbeginn bereits bei 90 Prozent. Laut der Regierung von Niederbayern ist ihr Ankerzentrum zu 88 Prozent belegt. Zu Beginn des Jahres waren es 68 Prozent. Auch Schwaben verzeichnet nahezu eine Vollauslastung, Mittelfranken sogar eine Auslastung von aktuell 110 Prozent.
Im Ankerzentrum in Oberfranken, auf einem ehemaligen Kasernen-Areal, sind aktuell 2550 Menschen untergebracht. Der Bamberger Oberbürgermeister Andreas Starke (SPD) fordert in einem Brief an Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nun, die Belegung deutlich zu reduzieren. So könne es nicht weitergehen. Beim Start 2015 sei eine Belegung von maximal 1500 Menschen festgelegt worden.
Überhaupt aufnahmefähig bleiben die Ankerzentren derzeit nur, wenn die Menschen von dort auf die Landkreise weiterverteilt werden. Aber auch dort wird es immer enger. Wann «überhaupt nichts mehr geht», sei schwer zu sagen, sagt Landkreistags-Präsident Karmasin, «weil wir sind bereits beim Status der Zelte angelangt. Zelte kann man natürlich gegebenenfalls immer noch aufstellen.» Vielerorts müssten die Landkreise aber schon lange improvisieren. «Es gibt Kollegen, die Menschen auf Schiffen unterbringen auf der Donau. Ich selber habe Tiefgaragen schon prüfen lassen auf ihre statische Eignung und so weiter. Natürlich geht das immer noch, aber das sind ja keine ernstzunehmenden Lösungen mehr. Das sind ja skurrile Zustände, die man eigentlich auch nicht mehr als menschenwürdig bezeichnen kann.»
Abgesehen von Engpässen bei der Unterbringung warnt Karmasin insbesondere davor, dass die Integration der vielen Menschen kaum mehr möglich sei. Viele hätten praktisch keine Perspektive. «Sie werden auf absehbare Zeit keinen Wohnraum finden. Sie werden sich im Arbeitsmarkt kaum integrieren können. Es fehlt an allen Ecken und Enden, einfach an Ressourcen, auch für die vielen Kinder, an Kinderbetreuungsplätzen, an Schulplätzen. Es fehlt im Bereich der medizinischen Versorgung. Also es fehlt einfach insgesamt an all dem, was hinterher ein Leben in unserer Gesellschaft möglich macht.» Der Fürstenfeldbrucker Landrat warnt: «Und das ist noch viel schlimmer, als kurzfristig einen Schlafplatz zur Verfügung zu stellen.»
In einem umfassenden Forderungskatalog verlangen die bayerischen Landkreise von der Bundesregierung nun unter anderem eine «erhebliche Begrenzung und Steuerung» illegaler Migration, die konsequente Ausweisung nicht aufenthaltsberechtigter Ausländer und eine stärkere Unterstützung der Kommunen bei der Unterbringung, Versorgung und Integration. Der «fortwährende Notfallmodus» müsse beendet werden.
Und: Asylbewerber mit geringer Bleibeperspektive sollten für die komplette Dauer ihres Verfahrens und im Falle einer Ablehnung des Asylantrags tatsächlich in zentralen Aufnahmeeinrichtungen des Bundes und der Länder - also den Ankerzentren - bleiben. Und nicht mehr, wie es heute die Realität ist, vorzeitig in die Fläche weiterverteilt werden. Diese Unterbringungskapazitäten müssten also erhöht werden.
Wie schwierig die Lage ist, zeigt allein ein Blick in Karmasins Landkreis Fürstenfeldbruck: In 79 dezentralen Unterkünften stehen dort im Moment 2200 Plätze zur Verfügung: in ehemaligen Schulen und Bürogebäuden, in Wohncontainer-Anlagen, in ehemaligen Hotels oder Pensionen. Und in einem Zelt bei Mammendorf, der Erstanlaufstelle für Geflüchtete im Landkreis. Aktuell sind dort viele Familien mit Kindern untergebracht. «Das ist meine Hauptsorge», sagt Karmasin, «dass wir die Menschen aus diesen Notunterkünften kaum mehr rausbringen und dass sie weder in vernünftige Wohn- oder Arbeitssituationen kommen, noch dass vor allem die vielen Kinder eine Möglichkeit der Betreuung und der Förderung finden, die sie eigentlich brauchen. Da fehlen einfach die Ressourcen.»
Schon seit einigen Monaten kommen wieder deutlich mehr Asylbewerber nach Deutschland. In den ersten acht Monaten dieses Jahres haben 204.461 Menschen hierzulande erstmals einen Asylantrag gestellt. Im gesamten Jahr 2022 waren es 217.774 Asylerstanträge gewesen.