Neue Debatte um Grundschulempfehlung ausgelöst

Eltern im Südwesten wird zwar empfohlen, auf welche weiterführende Schule ihr Kind wechseln sollte. Doch das ist seit Jahren nicht verbindlich. Aus Sicht etwa von Realschul- und Gymnasiallehrern führt das zu Problemen. Sie untermauern den Unmut nun mit Zahlen.
Unterricht am Gymnasium
Im Max-Planck-Gymnasium Karlsruhe findet eine Unterrichtsstunde einer zehnten Klasse statt. © Uli Deck/dpa/Archiv

Lehrer und Lehrerinnen vor allem von Gymnasien und Realschulen haben sich in Umfragen ihrer Berufsverbände mit deutlicher Mehrheit für die Wiedereinführung verbindlicher Grundschulempfehlungen ausgesprochen. Die Freigabe vor mehr als zehn Jahren ist seit jeher in Baden-Württemberg heftig umstritten. Das Thema dürfte daher auch an diesem Dienstag eine Rolle spielen, wenn sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Kultusministerin Theresa Schopper (beide Grüne) vor Journalisten zur Unterrichtsversorgung äußern wollen.

An der Umfrage des Realschullehrerverbands nahmen nach Angaben vom Montag 4439 Lehrkräfte teil, von denen sich fast 85 Prozent gegen die derzeitige Regelung aussprachen. Eltern entscheiden selbst, auf welche weiterführende Schule ihre Kinder nach der Grundschule gehen. 1097 Lehrkräfte beteiligten sich an der Umfrage des Philologenverbands, der vor allem Gymnasiallehrerinnen und -lehrer vertritt. Fast 94 Prozent davon votierten für die Rückkehr zu einer verbindlichen Grundschulempfehlung. Zuerst hatte der Südwestrundfunk (SWR) über die Ergebnisse der Umfragen berichtet.

«Die Freigabe der Grundschulempfehlung 2012 war ein Kardinalfehler in der baden-württembergischen Bildungspolitik, der den Abwärtstrend des schulischen Bildungserfolgs in BW deutlich verstärkt hat», erklärte der Landesvorsitzende Ralf Scholl. Die Rückmeldungen der Lehrkräfte seien von entlarvender Eindeutigkeit: «Wenn 80 Prozent der Lehrkräfte die ständigen Misserfolgserlebnisse der überforderten Kinder beklagen und ihre völlige Frustration, wenn sie dann - oft Jahre zu spät - endlich die Schulart wechseln, dann ist das auch eine heftige Anklage dagegen, dass auf diese Weise institutionalisiert Bildungsverlierer produziert werden, obwohl das vermeidbar wäre.»

Karin Broszat, Landesvorsitzende des Realschullehrerverbands, sagte laut Mitteilung: «Die Anzahl der durch die Unverbindlichkeit der Schulempfehlung mittlerweile gebrochenen, wenn nicht gar zerbrochenen Schulbiografien ist eklatant. Diese ideologisch fehlleitende Schulpolitik «versündigt» sich geradezu an ganzen Generationen von Schülerinnen und Schülern und muss ein Ende haben!» Der freie Elternwille hinsichtlich weiterführender Schulwahl sei zur bloßen Beliebigkeit geraten. Verantwortungsbewusste Politik müsse handeln. «Die verbindliche Grundschulempfehlung wird nicht alle, jedoch nachweislich offensichtlich erhebliche Probleme im Bildungssystem kostenneutral und ohne teuer aufgelegte Programme lösen können.»

Unterstützung kommt von der FDP: «Während die grün geführte Landesregierung weiterhin ihre Bildungsideologien mit der Brechstange durchsetzt, sprechen die Praktikerinnen und Praktiker vor Ort eine klare und unmissverständliche Sprache: Die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung muss zurück», betonte der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Hans-Ulrich Rülke, in einer Mitteilung. «Seit deren Abschaffung im Jahre 2012 ist unsere Bildungsqualität ins Bodenlose gestürzt.» Als einzige Fraktion im baden-württembergischen Landtag hätten die Freien Demokraten hierzu einen Gesetzentwurf eingebracht.

Der bildungspolitische Sprecher der Landtags-Grünen, Thomas Poreski, erklärte hingegen: «Wir lehnen die Idee ab, in eine vermeintlich «gute alte Zeit» zurückzukehren, die in Wirklichkeit nie existiert hat. Statt wie die Verbände in den Rückspiegel zu schauen, sollten wir uns an erfolgversprechenden Modellen orientieren.» So hätten die Bundesländer, die im Pisa-Bildungsvergleich vor Baden-Württemberg liegen, keine verbindliche Grundschulempfehlung. «An der Champions League der Bildungssieger muss sich Baden-Württemberg messen - nicht mit der Kreisklasse», so Poreski. Die Grünen seien für eine passgenaue Übergangsberatung, die Eltern und Kinder bei der oft wegweisenden Entscheidung für die weiterführende Schule unterstützt.

In Baden-Württemberg gibt die Grundschule eine Empfehlung ab, welche weiterführende Schulart für ein Kind nach der 4. Klasse geeignet ist. Sie wird zu Beginn des 2. Schulhalbjahres der 4. Klasse zusammen mit den Halbjahreszeugnissen ausgegeben und orientiert sich in der Regel an dessen Noten. Wie das Kultusministerium im Februar mitgeteilt hatte, entscheiden sich aber immer mehr Eltern gegen diesen Rat. So hatte etwa jedes zehnte Kind, das im vergangenen Sommer auf ein Gymnasium gewechselt ist, dafür nicht die entsprechende Empfehlung.

Auch die SPD ist gegen die Wiedereinführung der verbindlichen Empfehlung. Die CDU schloss sich zuletzt dem grünen Koalitionspartner an, ließ aber eine grundsätzliche Gesprächsbereitschaft erkennen. Der Landesvorsitzende der Jungen Union, Florian Hummel, forderte mit Blick auf die Umfrageergebnisse, auch die Grünen-Landtagsfraktion solle aufhören, «aus ideologischen Gründen eine Wiedereinführung der verbindlichen Grundschulempfehlung zu verhindern». Dies wäre aus seiner Sicht vor allem im Interesse der Schülerinnen und Schüler.

© dpa
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