Hürden für Schadenersatz-Klagen von Diesel-Käufern gesenkt

Können Käufer Schadenersatz verlangen, wenn das Auto mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist? Ja, sagt der EuGH in einem wegweisenden Urteil. Die Auswirkungen sind aber noch offen.
Diesel
Ein Radfahrer steht neben einem Auto von Mercedes mit Dieselantrieb, dessen Abgase in der kalten Morgenluft sichtbar werden. © Marijan Murat//dpa

Wer ein Auto mit unzulässiger Abschalteinrichtung gekauft hat, hat nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) deutlich bessere Chancen auf Schadenersatz. Autohersteller können auch dann haften, wenn sie ohne Betrugsabsicht einfach nur fahrlässig gehandelt haben. Das entschied der EuGH am Dienstag in Luxemburg und versetzte damit Autoherstellern einen empfindlichen Schlag. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte bislang deutlich industriefreundlicher geurteilt.

Der Schadenersatzanspruch bestehe aber nur, soweit die Abschalteinrichtung bei der Abgasreinigung unzulässig und dem Käufer tatsächlich ein Schaden entstanden sei, so der EuGH. Ob die Abschalteinrichtung, hier ein sogenanntes Thermofenster von Mercedes, gegen das Gesetz verstößt, hat der Gerichtshof nicht entschieden. Das müssen deutsche Gerichte klären. Hintergrund des Verfahrens war eine Schadenersatz-Klage aus Deutschland gegen den Stuttgarter Autobauer.

Der EuGH hatte in vergangenen Urteilen allerdings klargestellt, dass Thermofenster nur in ganz engen Grenzen als zulässig anzusehen sind. Thermofenster sind Teil der Motorensteuerung, die bei kühleren Temperaturen die Abgasreinigung drosseln. Autohersteller argumentieren, das sei notwendig, um den Motor zu schützen.

Mercedes gab sich nach dem Urteil gelassen: «Mercedes-Benz-Fahrzeuge, die von einem Rückruf betroffen waren oder sind, können nach entsprechenden Software-Updates dauerhaft weiter uneingeschränkt genutzt werden. Wie nationale Gerichte die Entscheidung des EuGH in Bezug auf das nationale Recht anwenden werden, bleibt abzuwarten», teilte der Autohersteller am Dienstag nach dem Urteil mit.

Die Entscheidung aus Luxemburg dürfte große Auswirkungen auf viele Fälle in Deutschland haben. Um das EuGH-Urteil abzuwarten, hatten Gerichte aller Instanzen massenhaft Diesel-Verfahren auf Eis gelegt, bei denen es auf diese Frage ankommt. Allein beim BGH sind im Moment mehr als 1900 Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden anhängig, die deutliche Mehrzahl war wegen des EuGH-Verfahrens erst einmal zurückgestellt worden.

Denn beim Bundesgerichtshof hatten Klägerinnen und Kläger bisher nur dann eine Chance auf Schadenersatz, wenn sie vom Hersteller bewusst und gewollt auf sittenwidrige Weise getäuscht wurden. Diese strengen Kriterien waren nur beim VW-Skandalmotor EA189 erfüllt. Dem EuGH genügt nun fahrlässiges Handeln - was sich leichter nachweisen lässt.

Der ADAC wertete die Entscheidung daher als «gutes Signal für den Verbraucherschutz». Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) begrüßte das Urteil: «Für die betrogenen Verbraucherinnen und Verbraucher ist das heutige Urteil ein Meilenstein», sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Von der Entscheidung seien bis zu zehn Millionen Besitzerinnen und Besitzer von Diesel-Autos betroffen.

Thermofenster wie im aktuellen Urteil wurden auch von anderen Herstellern standardmäßig eingesetzt. Da sich das EuGH-Urteil auf unzulässige Abschalteinrichtungen allgemein bezieht, könnte es auch auf andere Funktionalitäten in der Abgastechnik von Diesel-Autos übertragbar sein, die derzeit von Gerichten unter die Lupe genommen werden. Mercedes-Konkurrent VW teilte dazu mit: «Der EuGH beantwortet hier abstrakte rechtliche Fragen, die allein die Auslegung des Europarechts betreffen.»

Rechtsanwalt Claus Goldenstein, dessen Kanzlei zahlreiche Diesel-Verfahren führt, erwartet die nächste große Klagewelle für die Autoindustrie. Der Ball liegt nun bei den deutschen Gerichten, vor allem beim Bundesgerichtshof (BGH). Der «Dieselsenat» des BGH hat für den 8. Mai bereits eine Verhandlung terminiert, in der er die sich «möglicherweise ergebenden Folgerungen für das deutsche Haftungsrecht» erörtern will, um den unteren Instanzen möglichst schnell Leitlinien an die Hand zu geben. Denn mit dem EuGH-Urteil sind noch längst nicht alle Fragen geklärt. Offen ist zum Beispiel, wie viel Geld betroffenen Autokäufern gegebenenfalls zusteht.

© dpa
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