Auto-Attacke: «Reichsbürger»-Prozess dauert länger

Eine Razzia gegen mutmaßliche Staatsfeinde, Entführungspläne gegen Minister, Keller mit illegalen Waffen. Die Szene der «Reichsbürger» sorgt für Aufsehen. Mit einem Fall aus dem Schwarzwald setzt sich ein Gericht noch länger auseinander.
Ein angeklagter, mutmaßlicher Reichsbürger (l) bekommt seine Handschellen abgenommen. © Bernd Weißbrod/dpa

Es geht um die Millisekunden zwischen den Schüssen und um Einschusswinkel, um den Glasstaub auf der Windschutzscheibe und die Kratzer am Lenkrad. In Saal 18 des Stuttgarter Oberlandesgerichts ist schnell klar: Statt der erwarteten Plädoyers am Freitag und dem Abschluss in der kommenden Woche wird sich der erste größere Prozess gegen einen sogenannten Reichsbürger in die Länge ziehen, vielleicht auch noch mehrere Wochen.

Die Kammer will erst am nächsten Freitag (3. Februar) über die vier Anträge entscheiden und hat bereits weitere Verhandlungstermine bis in den März hinein abgesprochen. Dem 62-jährigen Angeklagten wird unter anderem versuchter Mord vorgeworfen. Er soll vor einem Jahr bei mehreren gescheiterten Verkehrskontrollen geflohen sein und schließlich absichtlich einen Polizisten angefahren haben.

Der Mann ist der erste sogenannte Reichsbürger, der von der Bundesanwaltschaft vor Gericht angeklagt worden ist. «Reichsbürger» und «Selbstverwalter» leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihres Rechtssystems, sie sprechen Politikern und Staatsbediensteten die Legitimation ab und verstoßen immer wieder gegen Gesetze.

Der Angeklagte hatte im Prozess keine Angaben zur Sache und zu seiner politischen Einstellung gemacht. In den Beweisanträgen fordert sein Verteidiger nun unter anderem ein audiovisuelles Gutachten zur Abfolge der insgesamt fast 20 Schüsse aus jener Nacht sowie eine weitere Nachstellung am Tatort, um die damaligen Sichtverhältnisse besser einschätzen zu können. Es gehe ihm nicht darum, den Prozess in die Länge zu ziehen, sagte der Anwalt. «Aber ich sehe da ergänzende Möglichkeiten, mit denen der Senat eine bessere Erkenntnis gewinnen kann.»

Bei der Auto-Attacke im vergangenen Februar war ein Beamter schwer verletzt worden, er kann nicht mehr als Polizist arbeiten und ist nach eigener Beschreibung «charakterlich ein anderer Mensch geworden». «Nachts habe ich regelmäßig Träume von Scheinwerfern, die auf mich zukommen», hatte er in seiner Zeugenaussage gesagt. An die entscheidenden Sekunden, in denen er absichtlich angefahren worden sein soll, könne er sich aber nicht mehr erinnern.

Der angeklagte Schreiner aus Efringen-Kirchen (Kreis Lörrach) vertritt nach Angaben der hauptsächlich für Terror-Ermittlungen zuständigen Bundesanwaltschaft eine «Reichsbürger»-Ideologie. Er bezeichne sich selbst als Angehöriger des Großherzogtums Baden, wirft ihm die Bundesanwaltschaft im laufenden Prozess vor. Der Mann betrachte sich als «außerhalb der geltenden Rechtsordnung stehend», weil er die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugne und hoheitliche Befugnisse ihrer Repräsentanten nicht anerkenne. Polizisten seien für ihn nach seinen eigenen Angaben «Kombattanten, Terroristen, Partisanen», hatte eine Anklagevertreterin zum Prozessauftakt formuliert.

In Baden-Württemberg liegt die Zahl der erfassten «Reichsbürger» und «Selbstverwalter» nach Angaben des Landesamts für Verfassungsschutz bei etwa 3800 - Tendenz steigend. Rund zehn Prozent stuft die Behörde als gewaltorientiert ein. Die Szene besteht überwiegend aus Einzelpersonen, die nicht oder nur lose in Organisationen eingebunden sind.

Einer von ihnen, ein Mann aus Boxberg (Main-Tauber-Kreis), könnte ebenfalls bereits bald auf einer Anklagebank sitzen. Die Bundesanwaltschaft hat auch gegen ihn Anklage wegen mehrfachen versuchten Mordes erhoben. Der damals 54-Jährige hatte im vergangenen Frühjahr bei einem SEK-Einsatz zahlreiche Schüsse auf Polizisten abgegeben und dadurch zwei Beamte verletzt. Erst nach etwa zwei Stunden gab der Mann auf. In seinem Haus fand die Polizei mehrere Schusswaffen - darunter drei vollautomatische Gewehre und zwei Maschinenpistolen - sowie über 5000 Schuss Munition und Zubehör.

© dpa
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