Der Anteil armer Menschen in Thüringen ist dem «Armutsbericht 2021» des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zufolge weiter gestiegen. Die Armutsquote lag im Freistaat im Corona-Jahr 2020 bei 17,7 Prozent und somit über dem Bundesdurchschnitt von 16,1 Prozent. Das ging aus den am Donnerstag vorgestellten Daten hervor. 16,1 Prozent entsprechen 13,4 Millionen Menschen. Dies sind 0,2 Prozentpunkte beziehungsweise 200.000 mehr als in der Erhebung aus 2019. In Thüringen gelten demnach rund 372.000 Menschen als arm.
Armut wird in Deutschland nicht über direkte Not wie Hunger oder Obdachlosigkeit definiert, sondern über das Haushaltseinkommen und die daraus folgenden Möglichkeiten an gesellschaftlicher Teilhabe. Die Armutsquote gibt dabei den Anteil der Bevölkerung an, der mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss. Bei einem Einpersonenhaushalt lag diese Grenze in Deutschland im vergangenen Jahr bei 1126 Euro im Monat. Wohnungslose Menschen oder Menschen in Pflegeeinrichtungen oder Wohnheimen sowie Strafgefangene oder Geflohene in Gemeinschaftsunterkünften werden in die Erhebungen nicht einbezogen.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Thüringen befürchtet eine weitere Verschärfung von Armut und sozialer Ungleichheit durch die Corona-Pandemie und fordert eine Anhebung der finanziellen Unterstützungsleistungen für arme Menschen. Das größte Armutsrisiko betreffe weiterhin Paarhaushalte mit Kindern und Alleinerziehende. Insbesondere Familien und Alleinerziehende mit Kindern, müssten die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und sich perspektivisch aus der Armutsfalle befreien zu können, sagte der Landesgeschäftsführer des Paritätischen Thüringen, Stefan Werner.
Wie knapp die finanziellen Ressourcen der von Armut Betroffenen sind, hat die Pandemie nochmals deutlich gezeigt: Durch den Wegfall vieler Unterstützungsangebote wie Sozialkaufhäuser, Tafeln oder Schulessen - verbunden mit Mehrkosten für Masken und Desinfektionsmittel - sind viele Arme in eine bedrohliche Lage geraten, da die bereits unter dem Existenzminimum liegenden Regelsätze bei Hartz IV oder in der Altersgrundsicherung für solche Dinge kein Geld vorsehen.
Auch steigende Heiz- und Stromkosten sind für Menschen mit geringem oder keinem Einkommen eine enorme Belastung. Mit einem Entschließungsantrag will Thüringen sich im Bundesrat für Energiekosten-Zuschüsse für Menschen mit niedrigem Einkommen einsetzen. Er solle am Freitag in der Länderkammer eingebracht werden, teilte das Thüringer Sozialministerium am Donnerstag mit.
«Die Versorgung mit Wärme und Strom gehören zu den existenziellen Mindestbedürfnissen. Sie sind Grundvoraussetzung für menschliches Wohnen und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben», erklärte Sozialministerin Heike Werner (Linke). Mit dem Entschließungsantrag wolle man unter anderem eine Soforthilfe des Bundes erreichen - «zum Beispiel in Form eines Energiekostenaufschlags für Menschen im Wohngeldbezug oder eines Heizkostenzuschusses beziehungsweise eines Energieschecks».