Auch die derzeitige Form der Kirche sei fragil. Nach dem Verlust von rund 15 Millionen Mitgliedern in 50 Jahren und knapp zehn Millionen Austritten im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) werde es künftig nicht mehr nur um Kürzungen gehen, sondern um einen «wirklichen Systemwechsel», sagte Latzel. «Und wir brauchen schlicht jede gute Idee.» Jedes Jahr verliere allein die rheinische Landeskirche 30.000 bis 40.000 Mitglieder und reduziere sich die Zahl ihrer Gemeinden um 15 bis 20.
Der 51-jährige Theologe Latzel war vor einem Jahr zum Präses der zweitgrößten evangelischen Landeskirche gewählt worden. Die neue Kirchenleitung legte bereits im Sommer 2021 ein Positionspapier mit konkreten Vorschlägen für eine grundsätzliche Neuaufstellung der Kirche vor. Regionen und Kirchenkreise müssten künftig mehr kooperieren und auf die Menschen zugehen, so Latzel. Als Zielgruppe nannte er vor allem die 20- bis 40-Jährigen, denn sie träten am häufigsten aus der Kirche aus. Junge Menschen müssten mehr Raum bekommen in der Kirche. Bereiche wie Kita-Arbeit sollten gestärkt werden, weil sie einen Kontakt zu jungen Familien böten.
Latzel sieht die Zukunft der Kirche auch ökumenisch, also in der Zusammenarbeit der Konfessionen etwa im Religionsunterricht, in Gemeinden und der Seelsorge. Zugleich stelle die Situation der katholischen Kirche «gegenwärtig eine Herausforderung für uns» dar, sagte er. Beide Kirchen seien aber in einer «öffentlichen Haftungsgemeinschaft» - auch dort, wo die evangelische Kirche dezidiert andere Positionen vertrete, etwa bei der Gleichberechtigung von Frauen, der Stellung von Priestern und bei Fragen der freien sexuellen Selbstbestimmung.
Das Gebiet der rheinischen Kirche mit derzeit etwa 2,4 Millionen Mitgliedern und 643 Gemeinden erstreckt sich über Teile der Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen.